Peter Richter

„Dresden Revisited“

Dresden Skyline auf dem Buchumschlag zu Peter Richters „Dresden Revisited“
Patrice von Collani/Westend61/Corbis

Peter Richter ist es eigentlich leid, seine Geburtsstadt zu erklären. Er tat es dennoch. Und zwar gründlich. In seinem neuen Buch „Dresden Revisited“ schreibt Richter über die Befindlichkeiten seiner Geburtsstadt. Eine Rezension von Siiri Klose

Das Einerseits und das Andererseits

Dresden hat nicht nur eine Gesellschaft, die mit sich fremdelt, sie hat auch jemanden, der darüber schreiben kann: Peter Richter. Der Journalist und Buchautor verließ seine Geburtsstadt zwar bereits vor 25 Jahren fürs Studium. Doch: „Im Rückspiegel erscheinen einem die Dinge näher“, und: „Ich möchte behaupten, dass auch die Weggegangenen Dresdner bleiben, schon weil sie sich in der Fremde dauernd für die Stadt rechtfertigen müssen.“

Bereits in seinem autobiografischen Roman „89/90“ über die Vor- und die Wendezeit lieferte Richter die gültigsten Erklärungen für den Menschenschlag zwischen Hang und Tal. Einen Essay-Band später, in „Dresden Revisited“, stellt er auch die richtigen Fragen – oder bekommt sie gestellt. Von Tom Hanks etwa, der wissen will, wie es war, im „Valley of the Clueless“ aufzuwachsen – diesem mystischen Ort hinter dem Eisernen Vorhang. Für dieses verwunschene Dresden rückt Richter die charmant verwilderten Gärten in Blasewitz oder Loschwitz ins Bild, die zugehörigen Villen bewohnt von einem gesunden sozialen Mix – die sich inzwischen zu prosaischen Häusern mit planierten Gärten gewandelt haben. Doch um Sentimentalitäten geht es nicht: „Kann es sein, dass diese Stadt eine einzige Kippkarte ist?“, fragt er und findet unzählige „einerseits–andererseits“-Beispiele, die eine Dresdner Mentalität von ebenso großer Weltoffenheit wie engherziger Sturheit skizzieren: protestantisches Bürgertum und katholische Hofhaltung; die Reformbewegung der vorletzten Jahrhundertwende und ihre radikalen Ausläufer; August Bebels Sozialdemokratie und ein besonders beflissener Antisemitismus zwischen den Weltkriegen; Romantik, Neue Sachlichkeit – und der erste Ausstellungsort für entartete Kunst.Kann es sein, dass diese Stadt eine einzige Kippkarte ist?Peter Richter

All das reflektiert Peter Richter in einem Rückspiegel aus New York, wo er als Korrespondent für die Süddeutsche Zeitung arbeitet. Und nutzt die letzten Kapitel seines schmalen, dafür ungeheuer dichten Buches für einen direkten Vergleich mit der Einwanderungspolitik in den USA, der dann nicht mehr auf Dresden abzielt, sondern auf Deutschland: „Vielleicht, wer weiß, wäre schon damit gewonnen, wenn es pragmatischer zuginge, mit weniger autoaggressiver Apokalyptik und weniger volkserzieherischem Kitsch.“ Und für Dresden merkt er an: „Das Image von Städten lässt sich drehen.“ Mal sehen, was sie aus sich machen, die Dresdner.

New York City Skyline auf dem Buchumschlag zu Peter Richters „Dresden Revisited“
© Patrice von Collani/Westend61/Corbis

Peter Richter
wurde 1973 in Dresden geboren, ging 1993 nach Hamburg und studierte dort Kunstgeschichte. Er volontierte beim Deutschlandfunk, arbeitete für die FAZ, ist aktuell für die Süddeutsche Zeitung als Kulturkorrespondent in New York. Er schrieb unter anderem „Blühende Landschaften“ (2004), „Deutsches Haus“ (2006), „Über das Trinken“ (2011) und „89/90“ (2015).

Dresden Revisited
Der Essay „Von einer Heimat, die einen nicht fortlässt“ folgt der „Dresdner Rede“, die zu halten Peter Richter 2016 ins Dresdner Schauspielhaus eingeladen wurde. Erschienen im Luchterhand Literaturverlag, 2016, 160 Seiten, 18 Euro.

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