Tonlagen-Festival-2021

30. Tonlagen geht in Corona-Pandemie neue Wege

Das bedeutende Festival für zeitgenössische Musik in Europa findet online statt

Das Dresdner Festival Tonlagen zählt zu den wichtigsten Veranstaltungen der zeitgenössischen Musik in Europa. Wegen Corona findet die 30. Auflage größtenteils online statt. Doch die Veranstalter machen das Beste daraus.

„Wir hatten – schon vor Corona – ‚Pause‘ als Thema geplant“, erklärt Moritz Lobeck, Künstlerischer Leiter. Nun passe es umso besser. Das Publikum darf sich also auf eine spannende musikalische Reflektion der Frage „Wie weiter?“ freuen.

30. Tonlagen-Festival wird interdisziplinär und politisch

Auch vor der Pandemie war die Welt nicht gerade in bester Ordnung: politisch, sozial und ökologisch hatte unsere Gesellschaft so manches zu klären. Mit solchen Transformationsprozessen wollen sich die Künstlerinnen und -künstler sowie Ensembles der 30. Tonlagen auseinandersetzen. Den Rahmen bildet John Cages legendäre Komposition 4‘33‘‘. Sie wird täglich von einem Mitglied der Staatskapelle Dresden aufgeführt und live online übertragen. Das Video ist auch nachträglich abrufbar.

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Die Berliner Philharmoniker interpretieren John Cages 4’33“. Quelle: YouTube

Das 1952 erschienene Stück vermag seine Zuhörer noch heute zu irritieren, besteht es doch im Wesentlichen aus Stille. Der Komponist selbst sagte dazu einst: „There‘s no such thing as silence“ („Es gibt keine Stille.“) – denn natürlich hören wir immer irgendetwas, wenn es auch nicht das ist, was wir erwarten. Für Veranstalter Moritz Lobeck passt das Stück damit perfekt zum Thema „Pause“ und genauso perfekt in die aktuelle Zeit: „Die Pause, das Nichtklingen, das Nichtbewegen, die Unterbrechung als Zustand, in dem neue Energie aufgebaut wird, ist generell ein spannender und wichtiger Aspekt.“

Festivalthema „Pause“ verweist auf besondere Situation

Auch andere Künstler sind kreativ geworden, um dem Festivalpublikum in dieser Zeit der Pause Stoff zum Reflektieren zu geben.

  • Der Komponist Frieder Zimmermann etwa will mit einem Gitarrenorchester in den Dresdner Stadtteil Prohlis gehen, in dem er selbst aufwuchs, und dort für sein partizipatives Konzert einen Hof zwischen den vier Häuserblöcken zum Konzertsaal werden lassen.
  • Das Ensemble Modern und Alva Noto werden ihr multimediales Werk, das elektronische Musik sowie Licht- und Videoinstallationen verknüpft – am 17. und 25. April jeweils um 20.30 Uhr online streamen.
  • Und mit „Once to be Realised“ haben sechs internationale Komponisten das Werk des bedeutenden griechischen Avantgarde-Komponisten Jani Christou neu interpretiert – das so entstandene Musiktheater wird am 23. April um 22 Uhr im Livestream aufgeführt.
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Teile des Programms werden aufgrund der Corona-Pandemie verschoben

Verschoben werden dagegen etwa die Uraufführung der Ø-Trilogie von Trond Reinholdtsen, die nun im November 2021 auf die Bühne kommen soll sowie der Musiktheater-Kompositionsauftrag für Helmut Oehring, den das Publikum nun voraussichtlich erst im Februar 2022 hören und sehen können wird. Das „Traurige Musical“ der Punkband Pisse wird wohl ebenso wie das Porträtkonzert von Mirela Ivicevic mit dem Blackpage Orchestra und die Projekte von Zeitkratzer und Trickster Orchestra im November 2021 live aufgeführt. Auch die Schwerpunkte zum Dresdner Zentrum für zeitgenössische Musik und zu Experimenteller Musik und Musikfilmen der DDR müssen coronabedingt noch etwas warten. Die neuen Aufführungsdaten werden noch bekannt gegeben.

Freiwillige Support-Tickets sollen Künstlerinnen und Künstlern helfen

Alle Streams sind kostenlos zugänglich, es können aber online freiwillige Support-Tickets gekauft werden, um die Performenden zu unterstützen. Infos und das gesamte Programm bekommt ihr hier.

„Wir wollen den Fokus aber auch auf hybride Formate und einen erweiterten Begriff der Time-Based Art lenken.“

Moritz Lobeck, Künstlerische Leiter Tonlagen-Festival

Die Tonlagen präsentiert alle zwei Jahre aktuelle Entwicklungen in der Musik und zeitgenössischen Kunst. Seit 2019 ist Moritz Lobeck als Künstlerischer Leiter verantwortlich für das Festival. Wir haben ihn gesprochen.

Herr Lobeck, an die Premiere 1987, damals noch als Dresdener Tage der zeitgenössischen Musik, können Sie sich vermutlich nicht mehr erinnern?

Ich war noch sehr jung, aber tatsächlich habe ich das Festival schon damals besucht. Ich kann mich zwar nicht mehr wirklich an einzelne Auftritte erinnern, aber noch sehr gut daran, dass mich das Publikum fasziniert hat. Ich glaube, ich war ehrlich überrascht, wie viele spannende, coole Menschen es in der DDR gibt.

Der Dramaturg Moritz Lobeck ist seit 2019 als Künstlerischer Leiter verantwortlich für das alle zwei Jahre stattfindende Tonlagen­-Festival. Foto: Stephan Floss

Und die trafen sich alle bei der Neuen Musik?

Ja, denn damals, in den Gründerjahren des Festivals, war die Neue Musik in Dresden nicht nur eine Nische. Als Udo Zimmermann 1986 das Dresdner Zentrum für zeitgenössische Musik gründete und im Jahr darauf die ersten Tage der zeitgenössischen Musik veranstaltete, war das Festival schon allein durch seinen internationalen Anspruch sehr offen für verschiedene Themen – und dadurch, dass es Brücken schlug zu Schauspiel, Bildender Kunst und Tanz. In diesem interdisziplinären Ansatz wurden außerdem auch politische Themen verhandelt – wie in der DDR üblich oft zwischen den Zeilen, aber mitunter auch erstaunlich offen.

Der interdisziplinäre Ansatz blieb aber auch nach dem Mauerfall erhalten.

Der war immer essenziell und sollte es immer bleiben. Auch ich bin hier mit dem Anspruch angetreten, das Spektrum des Festivals zu erweitern. Neue Musik steht weiter im Mittelpunkt, wir wollen den Fokus aber auch auf hybride Formate und einen erweiterten Begriff der Time-Based Art lenken. Gemeint ist nicht nur das Spiel mit der Zeit, sondern auch, dass Kunst sich in der Zeit positioniert, tatsächlich zeitgenössisch ist. Die Themen sind dabei eher andere als damals in den späten Achtzigerjahren, heute sind das die sozialen, ökologischen und digitalen Transformationen.

Wie politisch wird die 30. Auflage der Tonlagen?

Die wird zwangsläufig auch politisch. Beim Thema „Pause“ fällt einem sofort John Cage und sein berühmtes Stück 4´33˝ ein, aber die Pause, das Nichtklingen, das Nichtbewegen, die Unterbrechung als Zustand, in dem neue Energie aufgebaut wird, ist generell ein spannender und wichtiger Aspekt. Mit Corona als Zwangspause und den Fragen nach dem „Wie weiter?“ hat unser Thema jetzt noch einmal eine ganz neue Bedeutung erhalten.

Ist auch das Dresdner Publikum von heute aufgeschlossen für solche Themen?

Unbedingt, denn es ist vor allem ein interessiertes und neugieriges Publikum. Beste Voraussetzungen für die Neue Musik, die ja auch anstrengend sein kann und oft an Grenzen geht.

Moritz Lobeck, 1972 in Dresden geboren und hier aufgewachsen, war lange Kurator bei den Wiener Festwochen, bevor er 2018 als Programmleiter Musik und Medien zum Europäischen Zentrum der Künste Hellerau ging.

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