Wie eine Bühne ins Schwimmen geriet

Der Theaterkahn

Frank Exß

Seichte Unterhaltung? Von wegen. Kabarettistisch-musikalische Revuen, literarische Programme und hochklassige Theaterstücke: Das ist das Repertoire des Theaterkahns Dresdner Brettl, einem schwimmenden Theater mit rebellischer Tradition.

Neben den Touristendampfern der Sächsischen Dampfschiffahrtsgesellschaft ankert ein ungewöhnliches Schiff am Terrassenufer: Der Theaterkahn Dresdner Brettl. Holger Böhme ist Autor, Regisseur, Intendant seit 2017 – und eigentlich von Anfang an dabei. Sein Ensemble ist eine eingeschworene Gemeinschaft, die Dresdens Kulturlandschaft seit 1988 prägt: zunächst aus dem Untergrund heraus, mittlerweile aber in bester Lage.

An sechs Tagen die Woche hebt sich der Vorhang, drei bis vier neue Stücke gibt es jedes Jahr. Böhme erzählt von den Anfängen und von Premieren in jeder Hinsicht.

Denn von einer Bühne auf dem Wasser träumte zu Beginn niemand – eher von Bühnen im Westen. 1988 hatte die DDR Mühe, ihre Schauspieler im Land zu halten und reagierte mit Zugeständnissen. Einer der Schauspieler war Friedrich-Wilhelm „Fiete“ Junge. Das Zugeständnis: künstlerische Freiheit.

Friedrich-Wilhelm Junge in „Es gibt nichts Gutes, außer: Man tut es“ © Carsten Nüssler

Wenn die Vorstellungen in den großen Häusern zu Ende waren, fingen Junges Abende erst an. Im Tonnengewölbe im Kurländer Palais inszenierte er Texte von James Joyce und Christa Wolf, von Erich Mühsam, Georg Kreisler und Heinrich Heine. Mit scharfen Spitzen, hohem Anspruch und anarchischem Witz entwickelte das Dresdner Brettl seine ganz eigene Kunstform.

Diese „relativ selbständige Einrichtung des Staatsschauspiels Dresden“ war, so übersetzt Böhme die sperrige offizielle Bezeichnung, „das erste unabhängige Theater der DDR“.

Bruch und Aufbruch waren nach der Wende die Themen der Stunde. Aus dem Untergrund zog das Brettl in den dritten Stock eines Hauses, das kurz zuvor noch als SED-Bezirksparteischule gedient hatte. Hier in der Maternistraße war Platz für einen Flügel, 100 Zuschauer und eine Bar. „Eine Mischung aus Erfolgsrausch und Freiheitsdrang hat uns in die freie Marktwirtschaft geführt“, merkt Böhme an. Das Brettl, damals noch ein städtisches Unternehmen, wollte in die freie Trägerschaft – und an einen anderen Ort, sich mehr in den Mittelpunkt rücken.

In einer Kneipe kam Böhme der Einfall: „Wenn wir ein Boot hätten, dann könnten wir einfach überall anlegen.“

Nichts ist mächtiger als eine Idee, deren Zeit gekommen ist – auch wenn es, wie Böhme gesteht, eine „Schnapsidee“ war. Aber wenige Tage später kehrte Tom Pauls, Weggefährte der ersten Stunde, mit einem Angebot zurück.

Der Theaterkahn am Terrassenufer © Carsten Nüssler

Im Alberthafen rostete ein alter Lastenkahn namens Ida, getauft 1918, außer Dienst seit 1986. Das Boot wechselte für eine Mark den Besitzer (und verschlang danach noch enorme Summen für die Instandsetzung). Ida wechselte ihren Namen und ihren Beruf: Ida wurde umbenannt zu Ehren von Marion Ermer, die das Projekt förderte. Und statt Waren transportiert der Kahn seither Geschichten.

Am 3. Oktober 1994 fand auf dem Theaterkahn die erste Aufführung statt: Fiete Junge spielte sein Kästner-Programm „Es gibt nichts Gutes, außer: Man tut es“. Nicht nur seine Cabaret-Programme begleiten Kahn und Brettl von Anfang an. Tom Pauls mit seinem Zwinger Trio, seiner Kultfigur Ilse Bähnert und Michael Fuchs mit seiner Band gehören seit den Anfängen dazu. Cabaret, Revuen und Schauspiel sollen in Einklang stehen.

Böhme wünscht sich „ein Theater, das für alle zugänglich ist.“ Er denkt dabei an Charlie Chaplin, „einer der letzten Universalkünstler“. Und er will, dass Humor auch gesellschaftlichen Anspruch hat.

So geht es in seinen Stücken immer um mehr als um Situationskomik und schnelle Pointen. Was meist als Komödie etikettiert ist, ist doch vielschichtiger: „Unsere Helden sind tragische Figuren“, erklärt Böhme.

Tom Pauls in „Lothar und der Kormoran“ © Carsten Nüssler

Das Stück „Bauland“ etwa erzählt von Großvater, Vater und Sohn, die sehr eigene Vorstellungen davon entwickeln, ob und wie ihre traditionsreiche Autowerkstatt noch zu retten sei.

Und in „Lothar und der Kormoran“ geht es um die Sorgen eines alternden Mannes. Die kann er seit Jahren einem renitenten Karpfen anvertrauen: Das Tier ist schwer fassbar, aber widerspricht auch nicht.

„Kultur ist die Geschichte, die sich eine Gesellschaft von sich selbst erzählt. Und die Kunst soll diese Kultur hinterfragen, sogar torpedieren“, erklärt der Intendant. Seinen rebellischen Geist hat sich das Ensemble also erhalten – und sich eigene Traditionen geschaffen. Gerade im Kästner-Jahr 2019 steht Junge mit „Es gibt nichts Gutes, außer: Man tut es“ wieder auf der Bühne.

Theaterkahn Dresdner Brettl, Terrassenufer an der Augustusbrücke, 01067 Dresden
Spielplan und Karten unter theaterkahn.de

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