Dresdens Documenta

Ostrale 2019

Roman Weinig: "Augenblick der Achtsamkeit" Martha

Eine Kunstausstellung, die alles in Frage stellt: Die Ostrale Biennale für zeitgenössische Kunst zeigt bis zum 1. September mehr als 300 künstlerische Beiträge aus 34 Ländern zu Themen wie Ökologie und Migration, Werten und Weltanschauungen. Der diesjährige Titel: „–ismus“.

Barfuß und im Blumenkleid steht sie da, die Frau auf Anya Janssens Gemälde „People Say I’m Different 4“. Als Plakatmotiv kündigt sie die Ostrale an.

Dresdens größte Ausstellung für zeitgenössische Kunst, mittlerweile als Biennale konzipiert, steht in diesem Jahr unter einem vielsagenden Titel: „–ismus“.
Das kleine Suffix taucht immer dann auf, wenn ein Einfall Schule macht, wenn ein Phänomen zum System wird.

Man könnte vermuten, es ginge vielleicht vom Im- zum Expression- bis zum Dadaismus, aber die Ostrale will kein Parforceritt durch die Kunstgeschichte sein. Sie beschränkt sich auf acht „–ismen“ – und öffnet sich damit total.

Anya Janssen: „People Say I’m Different 4“, Öl auf Leinwand, 220 x 160 x 5 cm, 2017. © Anya Janssen

Acht „–ismen“, endlose Vielfalt

Ideologismus Terrorismus, Territorialismus, Naturalismus, Animismus, Konsumismus, Dystopismus und Womanism: das sind die Themen der Kunstausstellung.

„Während im Zuge des digitalen Wandels die Grenzen zwischen Realität und Fiktion zunehmend verwischen, werden althergebrachte ‚–ismen’ wieder herangezogen, um Werte und Weltsichten zu behaupten“, sagt Andrea Hilger, die Direktorin der Ostrale.

Dresdens Antwort auf die weltberühmte Documenta in Kassel will also politisch, sozial und vor allem relevant sein – ein Rundumschlag.

Dazu passen dann auch die Boxhandschuhe, die die Frau in Janssens Gemälde trägt. Wobei dieses Detail beinahe beiläufig wirkt. Sie unterstreichen zwar noch ihre stolze Haltung. Doch alle Entschlossenheit und aller Kampfgeist liegen im Blick.

Janssen, die sonst fotorealistisch malt und Verweisräume auf Heavy Metal, Horror und Mystery öffnet, setzt in ihrer Serie „People Say I’m Different“ auf Unfertigkeit. Die Bilder sind aus Treffen mit der ugandischen Künstlerin Christine Ayo entstanden. Immer wieder wirken sie skizzenhaft. Damit bringt Janssen ihre Faszination für Identitäten zum Ausdruck – und wie durchlässig diese sind.

Denn Janssen denkt, dass das „Ich“ etwas sehr poröses ist. Dass sich Identitäten mischen. Dass jede Begegnung eine Spur hinterlässt und einen Menschen verändert. Es gibt ein „Wir“, das sich ständig im Fluss befindet.
„People Say I’m Different 4“ wird so zum Leitbild der diesjährigen Ostrale. Ich, wir, ihr, die Anderen. Identität, Trennung, Gemeinschaft, Gesellschaft.
Etwa 180 Künstlerinnen und Künstler präsentieren mehr als 300 Positionen, die darauf Bezug nehmen. Vom Gemälde über die Performance bis zur audiovisuellen Installation ist die Ostrale grenzenlos und im besten Sinne ausufernd.

Sonia E Barrett; Foto: Peter Fischer
Sonia Barrett’s „Chair No. 33“ stammt aus britischen Herrenclubs, informellen Zentren der Macht. In Barretts Arbeit zeigt sich der Sessel erschöpft von dieser Last.
Usha Seejarim; Foto: Musa Nxumalo
Usha Seejarim: „Domestic Disagreement“, Objekt, Holz: Stühle und Holznägel, 131 x 91 x 46 cm, 2015.
Ulrich Heemann; Foto: Peter Fischer
„Sonja“ (7/2017) von Ulrich Heemann ist der Versuch, einen zeitlosen, globalen Menschen zu zeigen.
Anastasia Obaregbe
Anastasia Obaregbe: Acrylfarbe, Leinwand, 200 x 240 x 3 cm, 2018, Teil der Serie „HEROINES DEI.T.IES ( AMUSED )“.
Jakub Janovský; Foto: Peter Fischer
Phototherapy II / 2017, Attention Please / 2019, 6th January / 2017.

Zeitgenössische Stellungnahmen

Das zeigt sich nirgends besser als beim Themenfeld „Womanism“. Das ist einerseits ein Begriff aus der feministischen Theorie, andererseits ( „WomanIsm“) der Name eines deutsch-afrikanisches Kunstprojekt, das an die Ostrale andockt.

„Mit WomanIsm ist im Grunde ‚Selbstbewusstsein durch Arbeit gemeint, das bezieht sich vor allem auf die afrikanische Sicht, die ganz anders ist als unsere deutsche. Es geht uns darum, im Kontext der künstlerischen Arbeiten kulturpolitische Fragestellungen zur Rolle der Frau zu erörtern, Stimmlosen eine Stimme zu geben und Unterschiede der Gleichberechtigung zu reparieren,“ erklärt Andrea Hilger.

So nimmt etwa Usha Seejarim aus Südafrika das Projekt zum Anlass für eine Auseinandersetzung mit Arbeit und Gender. Aus Wäscheklammern entwirft sie gewundene Skulpturen. Das alltägliche Arbeitsmaterial vieler Frauen wird zum Rohstoff für Kunst und Kritik.

Rolf Blume; Foto: Peter Fischer / 2019
Rolf Blume: „(the) Finder 09“, Installation, Assemblage, Materialmix, verschiedene Kunststoffbehälter, Alltagsgegenstände und Fundstücke, Papierkörper, Holz, Metall, Schnur, Draht, Farbe, Lack., 270 x 75 x 75 cm, 2015.
Rolf Blume; Foto: Peter Fischer / 2019
„(the) Finder 07“ ist in der Gedenkstätte Bautzner Straße ausgestellt.
Yuval Avital
Yuval Avital: „Foreign Bodies“, Film, Fotografie, Installation, Performance, 2017. Serie.
Urban Grünfelder: Foto: Peter Fischer / 2019
Urban Grünfelder: „Man frisst Anzug“, 2011.
Heinz Schmöller; Foto: Peter Fischer / 2019
Heinz Schmoeller: „Angela Mirakel“, 2017. Mit der Farbe ihrer Blazer kann Bundeskanzlerin Angela Merkel ihre Wirkung auf den politischen Gegner beeinflussen.

Satellitenstadt Dresden

Zum ersten Mal ist das Konzept der Ostrale dezentral. Wie Satelliten kreisen kleinere Orte um die Hauptausstellung. Rolf Blumes „Finder“ etwa, eine surreale Konstruktion aus vergrößerten Alltagsgegenständen, entfaltet in der Gedenkstätte Bautzner Straße eine ganz andere Wirkung. Andrea Hilger denkt an Funkantennen und Überwachungsmaschinen. Der Raum mit seinen unverputzten Wänden, ein ehemaliges Stasi-Gefängnis, stellt die beklemmende Assoziation her.

Und im Goethe-Institut, dem deutschen Aushängeschild für internationale Kulturvermittlung, ist Patrick Fenechs Fotostrecke „Me and my favourite Insect – Displacement Series“ zu sehen. Sie zeigt die Menschen zusammen mit vom Aussterben bedrohten Insekten. Die Bilder werden zu einer komplexen Aussage nicht nur über Migration, sondern auch über unser Verhältnis zur Umwelt.

Patrick Fenech
„Me and My Favourite Insect – Displacement series“. Installation, Bedrucktes fotografisches Papier und bedrucktes Leinwandmaterial, 85 x 60 x 5 cm, 2018, Serie. Ausgestellt im Goethe-Institut Dresden.
Patrick Fenech
„Me and My Favourite Insect – Displacement series“. Installation, Bedrucktes fotografisches Papier und bedrucktes Leinwandmaterial, 85 x 60 x 5 cm, 2018, Serie. Ausgestellt im Goethe-Institut Dresden.
Patrick Fenech
„Me and My Favourite Insect – Displacement series“. Installation, Bedrucktes fotografisches Papier und bedrucktes Leinwandmaterial, 85 x 60 x 5 cm, 2018, Serie. Ausgestellt im Goethe-Institut Dresden.
Patrick Fenech
„Me and My Favourite Insect – Displacement series“. Installation, Bedrucktes fotografisches Papier und bedrucktes Leinwandmaterial, 85 x 60 x 5 cm, 2018, Serie. Ausgestellt im Goethe-Institut Dresden.

Neben Goethe-Institut und Gedenkstätte sind auch der Ausländerrat, die Galerie SAP’Art und die alte Feuerwache Loschwitz an der Ostrale beteiligt.

Aber alle Fäden laufen in Striesen zusammen, wo der Großteil der Arbeiten zu sehen ist. Zum Ausstellungsort sagt die Direktorin: „Die historische Tabakfabrik f6 wurde noch bis Ende 2018 genutzt und liegt mitten im Leben vieler Dresdner, die sicher auch neugierig auf das Gebäude sind. Bevor hier Wohnungen entstehen, können wir das Gebäude bis 1. September öffnen und seinen ganz eigenen Charme für die Kunst nutzen. Dafür eignet es sich hervorragend, weil es unterschiedliche Raumstrukturen anbietet, auch im Keller und im Freigelände.“

Viele betrachten Dresden ausschließlich als historische Kunststadt und vergessen, dass auch diese Kunst einst als zeitgenössische Kunst entstehen und sich durchsetzen musste.

Andrea Hilger

Noch bis September sind die Ausstellungen der Ostrale geöffnet. Dann geht das „WomanIsm“-Projekt auf Tour durch Afrika. Und in Dresden beginnt die Suche nach einem neuen Ort und einem neuen Thema.

„Viele betrachten Dresden ausschließlich als historische Kunststadt und vergessen, dass auch diese Kunst einst als zeitgenössische Kunst entstehen und sich durchsetzen musste. Die zeitgenössische Kunst hat es daher zuweilen schwer, was man auch darin sieht, dass einige Galerien für zeitgenössische Künste schließen müssen. Aktuell kommt angesichts des Baubooms dazu, dass es schwieriger wird, Räume zu finden – auch wir wissen aktuell leider noch nicht, wo und damit ob wir die Ostrale Biennale 2021 durchführen können,“ so Andrea Hilger.

Hauptausstellung:
Historische Tabakfabrik f6 Striesen, Dresden
Eingang Schandauer Straße 68
4.7. bis 1.9. 2019, Mittwoch bis Freitag 10 bis 19 Uhr, am Wochenende 11 bis 20 Uhr

Dezentrale Ausstellungen:
Gedenkstätte Bautzner Straße (11.6.-8.9.), tägl. von 10 bis 18 Uhr, Freitag bis 20 Uhr
Goethe-Institut Dresden (12.6.-1.9.), Montag bis Freitag, 8 bis 16 Uhr
Ausländerrat Dresden e.V. (13.6.-1.9.), Mittwoch bis Sonntag, 10 bis 18 Uhr
Kunst- und Kulturverein Alte Feuerwache Loschwitz (28.6.-18.8.), Mo., Mi., Do. 10 bis 16 Uhr / Di. 10 bis 18 Uhr / So. 14 bis 18 Uhr
SAP’art Dresden (3.7.-1.9.)

Eintrittspreise
15 Euro, ermäßigt 10 Euro
Familienticket und 5-Tage-Ticket 30 Euro, ermäßigt 25 Euro

www.ostrale.de

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