Junge Kunstszene Dresden: Drei Künstler, die die Gegenwart prägen

Ein Vermächtnis schreibt Kunstgeschichte

Ausstellung Echtzeit mit aktueller Kunst junger Dresdner Künstler, die gesellschaftliche Themen und Zeitgeist reflektieren.
Blick in die Ausstellung Echtzeit – zeitgenössische Werke junger Dresdner Künstler, die den Puls der Gegenwart einfangen. © Museen der Stadt Dresden / Philipp WL Günther

Dank eines außergewöhnlichen Erbes bereichern 51 neue Werke zeitgenössischer Künstler die öffentliche Sammlung Dresdens. Drei von ihnen – Wiebke Herrmann, Franz Ehrenberg und Liza Sivakova – sprechen im Interview über ihre Kunst, ihre Stadt und die Zukunft der jungen Dresdner Szene.

Ein neues Kunstwerk in einer öffentlichen Sammlung ist ein Ereignis. Gleich 51 neue Werke sind ein künstlerischer Paukenschlag. Möglich wurde er durch eine anonyme Mäzenin, die der Stadt Dresden ein außergewöhnliches Vermächtnis hinterließ: Ihr Erbe sollte für den Ankauf zeitgenössischer Werke genutzt werden. Arbeiten von 48 Künstlern fanden so im letzten Jahr ihren Weg in die öffentliche Sammlung – ein Glück für alle Kunstfans und die junge Kunstszene in Dresden. Bis zum 30. März 2025 waren die Neuerwerbungen in der Ausstellung Echtzeit zu sehen.

von links nach rechts: Wiebke Herrmann (vor ihrem Bild Like A Prayer: Madonna XV), Franz Ehrenberg und Liza Sivakova im Atelier

Eure Werke sind jetzt Teil der Dresdner Kunstsammlung. Was ging euch durch den Kopf, als ihr davon erfahren habt? Und was bedeutet das für euch?

Wiebke Herrmann: Ich habe mich total gefreut! Öffentliche Ankäufe machen Kunst zum Kulturgut, sie bestätigen die Qualität meiner Arbeit, steigern ihre Sichtbarkeit und können sie sogar in die kunsthistorische Tradition Dresdens einordnen. Zudem sorgt die Sammlung für langfristige Bewahrung – vielleicht sogar über mein Leben hinaus. Definitiv ein Grund zum Feiern!

Franz Ehrenberg: Mich hat der Ankauf sehr überrascht. Ich hatte nicht das Gefühl, dass ich mit meiner Arbeit so auf dem Schirm bin, zumal ich in den letzten Jahren mehr digital unterwegs war und in der Malerei weniger präsent. Umso mehr hat es mich gefreut, dass meine Bilder wahrgenommen werden. Der Ankauf ist eine große Ehre und gleichzeitig eine echte Motivation.

Liza Sivakova: Ich konnte es zuerst nicht glauben. Ich kam 2022 nach Dresden, als der Frieden in Europa ins Wanken geriet. Zwei ehemalige HfBK-Studierende, Mona Pourebrahim und Hamid Yaraghchi, die ich 2019 bei einer Austausch-Ausstellung in St. Petersburg kennenlernte, halfen mir, hier ein Zweitstudium zu beginnen. Jetzt bin ich mit ihnen zusammen in „Echtzeit“, das berührt mich. Die Aufnahme in die städtische Sammlung ist mehr als eine Anerkennung meiner Arbeit, sie ist Ausdruck meiner wachsenden Verbundenheit zur Stadt. Ich würde sagen, Dresden hat mich mit offenen Armen empfangen, dafür bin ich sehr dankbar.


Könnt ihr uns mehr über das Werk erzählen, das für die Sammlung erworben wurde? Welche Idee oder Geschichte steckt dahinter, und wie fügt es sich in euer Gesamtwerk ein?

von links nach rechts: Terrarium von Franz Ehrenberg, Madonna del Naranja von Wiebke Herrmann und Napoleon von Liza Sivakova. Die Bilder sind noch bis 30. März in der Ausstellung Echtzeit zu sehen.

Wiebke Herrmann: Meine Motivreihe Like A Prayer zeigt von südeuropäischen Kirchen inspirierte Madonnenporträts – irgendwo zwischen Weltschmerz, Religion, Pathos, Kitsch und Popkultur. Die Serie ist emotional sehr aufgeladen. Das angekaufte Werk Madonna del Naranja ist praktisch der Gegenentwurf dazu: der Schnappschuss einer Touristin, bewaffnet mit Plastiktüte, Wasserflasche und Zigarette, die zufällig vor einer Orangensaftpresse steht, die ihr zum Heiligenschein wird. Schweißtropfen erinnern an marientypische Tränen. Die Städtische Galerie hat das Augenzwinkern sofort erkannt – und sich ins Bild verliebt.

Franz Ehrenberg: Meine Bilder haben selten eine konkrete Geschichte oder eindeutige Aussage – sie lassen Raum für Interpretationen. Das gilt auch für Terrarium. Es zeigt eine Figur, vermutlich im Badezimmer, mit Neubauten im Hintergrund. Wie oft in meinen Arbeiten treffen organische Formen auf harte architektonische Strukturen, manches ist detailliert ausgearbeitet, anderes löst sich fast in Abstraktion auf. Spannend finde ich, was Menschen mit den Szenen verbinden. Jeder bringt eigene Erfahrungen mit, erkennt vielleicht etwas aus seinem Leben wieder. Insofern erzählt Terrarium eine Geschichte – aber jedem eine andere.

Liza Sivakova: Das Bild Napoleon gehört zu einem Thema, das mich aktuell stark beschäftigt und zugleich malerisch besonders herausfordernd ist: das Phänomen der Macht, gepaart mit Willkür und den damit verbundenen historischen Kippmomenten. Napoleon ist dabei für mich mehr als eine historische Figur – er steht symbolisch für den menschlichen Drang, Imperien zu errichten, Kriege zu führen und das Schicksal unzähliger Menschen zu bestimmen. Das versuche ich, in meinen Bildern darzustellen.


Dresden hat eine lange Kunstgeschichte – wie beeinflusst die Stadt eure Arbeit? Seht ihr euch in einem Dialog mit dieser Tradition oder bewusst als Gegenpol?

von links: Wiebke Herrmanns Bild Sizilianische Großgrundbesitzerin mit Marionetten, das seit 2020 im Besitz der städischen Sammlung ist sowie ein Blick in Liza Sivakovas Atelier, die in ihren Werken Themen wie Macht und Moral künstlerisch erkundet.

Wiebke Herrmann: Für mich ist es ein Dialog. Die Städtische Galerie besitzt bereits seit 2020 ein Werk von mir, das auf Werner Tübkes Sizilianischer Großgrundbesitzer mit Marionetten anspielt – nur ist es bei mir eine Großgrundbesitzerin mit „rumhängenden Gefährten“. Die Idee entstand auf Sizilien während des Lockdowns, wo ich mit Künstlerkollegen in einem Ferienhaus festsaß. Zudem hing Tübkes Bild als Reproduktion im Jugendzimmer meines Vaters in Dresden – in der DDR war es für ihn ein Symbol des Fernwehs und der Sehnsucht nach der Welt.

Franz Ehrenberg: Ich sehe mich eher als Gegenpol. Vielleicht liegt es daran, dass figurative Malerei in meiner Studienzeit eine Randerscheinung war und nicht besonders trendy. Als mir klar wurde, dass das tatsächlich mein Ding ist, hatte es mit Tradition und Zugehörigkeit eher wenig zu tun. Trotzdem finde ich Dresden total schön – die Hochschule, das kulturelle Umfeld und der Zugang zu den alten Meistern und Stadtschätzen haben mich natürlich inspiriert.

Liza Sivakova: Interessanterweise beides. Ich bin praktisch mit einem Katalog der Gemäldegalerie Alte Meister aus DDR-Zeiten aufgewachsen – diese Werke galten mir immer als unerreichbare Ideale. Nachdem mein erstes Studium an der Akademie in St. Petersburg stark “akademisch” geprägt war, habe ich hier an der HfBK aber auch die Freiheit, aus dem bisher Gelernten auszubrechen, mich weiterzuentwickeln – mit Themen, die mich beschäftigen.


Was inspiriert euch aktuell am meisten? Gibt es gesellschaftliche Entwicklungen, die eure Kunst prägen?

Wiebke Herrmann: In meinem künstlerischen Prozess verarbeite ich die tägliche Bilderflut des Internets – ich sammle Bilder, verknüpfe sie gedanklich, setze sie neu zusammen und transformiere sie. Dabei ist mir wichtig, dass die Motive etwas Zeitloses und Allgemeingültiges haben, mit dem sich Einzelne identifizieren können. Vielleicht ist dieser Rückzug ins Individuelle eine Reaktion auf die besorgniserregenden politischen und gesellschaftlichen Umwälzungen unserer Zeit.

Franz Ehrenberg: Meine Kunst ist nicht explizit politisch, aber gesellschaftliche Themen sind natürlich präsent – nur eher auf einer persönlichen Ebene. Mich interessiert das Individuum, das Spiel mit Klischees und Raum. In der angekauften Arbeit etwa taucht ein Neubauprojekt für Eigentumswohnungen in Dresden auf. Solche architektonischen Veränderungen beeinflussen mich, weil sie mein direktes Umfeld und unsere Lebensrealität betreffen. 

Liza Sivakova: Mich beschäftigt das Thema Macht – besonders ihre Übersteigerung bis hin zur absoluten, zerstörerischen Kraft. Ob man das als Inspiration bezeichnen kann? Ich bin nicht sicher. Es fühlt sich eher an wie ein innerer Drang, eine Art verzweifelter Aufschrei. Um diesem Gefühl eine Form zu geben, vermische ich historisches Archivmaterial, Innenräume, bekannte und unbekannte Personen sowie kleine Details. So entstehen fiktive Szenerien, die verschiedene Epochen verbinden – ein Versuch, die Unberechenbarkeit unserer Zeit sichtbar zu machen.


Wie erlebt ihr die Kunstszene in Dresden? Was schätzt ihr? Gibt es etwas, das ihr euch anders wünscht?

Wiebke Herrmann: Dresdens Kunstsammlungen sind Weltklasse – doch für die zeitgenössische Szene ist das nicht immer förderlich. Die Gefahr besteht, sich auf das Etablierte zu verlassen, statt Raum für Neues zu schaffen. Dabei braucht es eine mutige, progressive Kunstszene, die Debatten anstößt. Viele engagierte Akteure in Dresden kämpfen dafür, doch Sparmaßnahmen machen es schwer. Hart getroffen hat mich das Aus für den Umbau der Robotron-Kantine zum Zentrum für Gegenwartskunst. Ich wünsche mir, dass der Stadtrat diese Entscheidung überdenkt. Förderungen sind essenziell, genauso wie bezahlbare Räume. Ohne Ateliers und Veranstaltungsorte schrumpft die Szene – und mit ihr die Attraktivität der Stadt.

Franz Ehrenberg: Dresden hat eine junge, engagierte Szene, die sich mit Offspaces, eigenen Ausstellungsprojekten und Netzwerken behauptet. Doch in den letzten Jahren wird es ihr nicht leicht gemacht. Es fehlt an Räumen für Ateliers und Galerien, und viele Kulturzuschüsse werden gestrichen – Institutionen wie das Kunsthaus Dresden kämpfen um ihre Existenz. Durch den starken Fokus der Stadt auf Kunstgeschichte und Hochkultur steht die zeitgenössische Szene oft im Schatten. Ich wünsche mir deshalb mehr Wertschätzung für das, was junge Kunst für eine Stadt bedeutet.

Liza Sivakova: Hier liegt sehr viel Potential in der Gegenwart – durch die Hochschule, eine inspirierende, engagierte Kunstszene mit vielen herausragenden Talenten und einem interessierten Publikum.  Mein Wunsch wäre, dass sich Dresden dieses Potential nicht vergibt. Die Stadt könnte viel gewinnen, wenn sie stärker in ihre zeitgenössische Kunstszene investiert. Stattdessen erleben wir kulturelle Einschnitte – und das ist beunruhigend.


Ihr habt erreicht, wovon viele junge Künstler träumen – in einer großen Sammlung vertreten zu sein. Was kommt als Nächstes? Gibt es neue Projekte oder künstlerische Ziele, die ihr verfolgt?

Wiebke Herrmann: Ich will meine Malerei über Sachsen hinaus zeigen. Demnächst stelle ich in Düsseldorf und Berlin aus und bin Co-Dozentin an der Sommerakademie in Salzburg. So kann es weitergehen! Dresden bleibt meine Basis – ein Ort, an den ich gern zurückkehre, um in Ruhe zu arbeiten und die Kunstszene aktiv mitzugestalten.

Franz Ehrenberg: Wie viele Kunstschaffende bin ich trotz des Ankaufs auf Jobs angewiesen. Ich habe ein Kind, eine Wohnung – der ganz normale Struggle. Bisher hatte ich Glück und konnte in verschiedenen künstlerischen Bereichen arbeiten – nicht nur in der Malerei, sondern auch im Theater, in der Videokunst und aktuell viel digital. Mein größter Wunsch ist es, weitermachen zu können – dass sich immer wieder Wege finden, Menschen mit meiner Arbeit zu berühren.

Liza Sivakova: Ich möchte weitermachen und Kunst schaffen, die für mich eine Bedeutung hat. In meinem Kopf sind viele Bildideen, die ich gern auf Leinwände bringen möchte, dabei will ich mich weiterentwickeln, austesten. Mit diesen Arbeiten dann weiterhin sichtbar sein zu können, darüber wäre ich sehr glücklich.


Die Ausstellung „Echtzeit. Neue Werke für die Kunstsammlung der Stadt Dresden“ läuft noch bis zum 30. März 2025 in der Städtischen Galerie Dresden. Wer die Vielfalt und Dynamik der zeitgenössischen Dresdner Kunstszene erleben möchte, sollte sich diese Gelegenheit nicht entgehen lassen.

Freier Eintritt in die Städtische Galerie Dresden! Am letzten Ausstellungstag, Sonntag den 30. März, können Besucher die Werke kostenlos erleben (10 bis 18 Uhr).