Eine Illustration des Philosophen Rüdiger Safranski

Rüdiger Safranski: „Romantik ist Entdeckung des inneren Reichtums“

Der Philosoph über die deutsche Romantik.

Wie kaum ein anderer Philosoph hat sich Rüdiger Safranski mit der deutschen Romantik beschäftigt. Am 25. April liest er in Dresden aus seinem Buch „Romantik - Eine deutsche Affäre“. Wir sprechen mit Safranski über die Epoche der Romantik und ihren Bezug zur heutigen Zeit.

Dresden Magazin: Herr Safranski, wenn Menschen über Romantik nachdenken, dann meinen sie ja oft nicht die Romantik als Geistesgeschichte, sondern sie verwenden den Begriff als Synonym für romantische Sonnenuntergänge und Dinner bei Kerzenschein. Meinen wir das Falsche, wenn wir im Alltag über Romantik sprechen?

Safranski: Man muss einen Unterschied machen: Wir kennen die Romantik einerseits als klar umrissene Epoche der Romantik im 18. Jahrhundert in Deutschland aber auch in Europa, andererseits gibt es das Romantische. Letzteres finden wir überall und es ist nicht auf die Epoche begrenzt. Man könnte allerdings sagen, dass das Romantische während der Epoche der Romantik einen besonders starken Auftritt gehabt hat und sogar prägende Bedeutung erlangte.

Dresden Magazin: Was würden Sie sagen, was ist das Romantische? Das ist ein großes Wort und wir benutzen das oft, als eine Art Sammelbegriff für Kunstwerke sowohl in den darstellenden Künsten als auch in der bildenden Kunst, vor allen Dingen natürlich in der Literatur.

Safranski: Der gebräuchliche Begriff des Romantischen ist gar nicht so furchtbar originell, dennoch triff er meistens zu. Nehmen wir den romantischen Sonnenuntergang. Das Romantische daran ist eine besonders starke Art, mit der Wirklichkeit umzugehen und in die Richtung des Schönen, des Angenehmen, des Verheißungsvollen zu wenden.

Denken Sie an den großen Romantiker, den Schriftsteller Novalis, der sagte: „Indem ich dem Gemeinen einen hohen Sinn, dem Gewöhnlichen ein geheimnisvolles Ansehen, dem Bekannten die Würde des Unbekannten, dem Endlichen einen unendlichen Schein gebe, so romantisiere ich es.

Das Romantische ist die Sehnsucht nach dem Außeralltäglichen.

Das können wir so richtig durchbuchstabieren. Im Romantischen liegt immer auch etwas Geheimnisvolles, etwas von dem man das Gefühl hat, das es etwas ganz Besonderes ist. Das geht bis hinunter zum romantischen Abendessen, veranstaltet mit Kerzenlicht und allem, was dazu gehört.

Romantisch Genießen in Dresden Elbland

Ein gutes Glas Wein in der Abendsonne oder ein romantisches Dinner bei Kerzenschein. In Dresden Elbland geht beides.

Wir brauchen uns darüber nicht lustig zu machen. Das sind die Versuche, einer alltäglichen Situation eine größere Bedeutung, eine größere Schönheit zu geben. Und in diesem Versuch, im Alltäglichen mehr zu sehen, steckt natürlich – und da kommt man auf einen der zentralen Begriffe der Romantik und des Romantischen – immer eine Portion Sehnsucht: Es möge doch noch eine andere Bedeutung oder eine größere Bedeutung haben als das alltäglich zu Erfahrende.

Das Romantische ist die Sehnsucht nach dem Außeralltäglichen, sei es in der Musik, sei es in der Malerei, sei es in der Literatur.

Dresden Magazin: Der Aspekt der Zeit spielt in der Romantik eine große Rolle. In den Bildern von Caspar David Friedrich erkennen wir seine Reverenz an die Ewigkeit. Aber auch in der Literatur, etwa bei Eichendorff, spielt das Motiv des „Memento Mori“, also das Bewusstsein der eigenen Vergänglichkeit eine große Rolle. Wie stehen die Romantiker zur Zeit?

Safranski: Die romantische Haltung gibt sich nicht zufrieden mit der Gegenwart. Sie hat einen sehnsüchtigen Erwartungshorizont, der sich auf Zukünftiges richtet und sie hat auch eine Wehmut in Bezug auf die Vergangenheit. Sie versteht, dass etwas vorbeigegangen ist, und sie kultiviert das Festhalten an kostbaren Erinnerungen.

Beide Affekte, Wehmut und Sehnsucht, sind Teil des Romantischen. In der Epoche der Romantik sind diese beiden Elemente besonders dicht und konzentriert dargestellt.

Dresden Magazin: Die Romantiker blickten sehnsüchtig in die Zukunft und wehmütig in die Vergangenheit?

Safranski: Die Epoche der Romantik, also um Achtzehnhundert, blickte zurück in eine Vergangenheit, die sie als kostbar ansah. Im Deutschland des 18. Jahrhunderts war das der Rekurs auf die kulturelle Geschichte, die Herausbildung eines Kulturvolkes.

In der romantischen Epoche begann das Märchensammeln im großen Stil. Die Gebrüder Grimm waren Romantiker. Sie sammelten Märchen, um alte Denkweisen und alte Traditionen zu bewahren, um an sie anzuknüpfen.

In der Romantik wird auch das Nibelungenlied erst so richtig entdeckt. Ja, man kannte es schon vorher, aber man macht jetzt eine große Sache daraus. Beim Anknüpfen an die eigenen alten Mythen gab sich die Romantik indes nicht damit zufrieden, nur die Antike zu pflegen, sondern es ging darum, die eigenen kulturellen Wurzeln ins Visier zu nehmen.

Dresden Magazin: In der Romantik entwickelte sich auch ein Gefühl für eine herzustellende bessere Wirklichkeit. Der Nationalgedanke und der Selbstbestimmungsgedanke entwickelten sich in diesem Kontext.

Safranski: Deutschland war damals zersplittert in viele Kleinstaaten. Die Vorstellung, zu einer Kulturnation zusammenzufinden, das war ein geistiges Projekt der Romantik. Die Selbstbestimmung der Nation, das ist das Zukunftsprojekt auch des romantischen Denkens.

Dresden Magazin: Die große geistige Epoche, aus der die Romantik hervorgeht, ist die Aufklärung …

Safranski: Oft wird die Romantik in schroffem Gegensatz zur Aufklärung gesehen, doch so schroff ist der Gegensatz nicht. Aber die Romantik setzte einen entscheidenden anderen Akzent. Während die Aufklärung die rationale Welt betonte, setze die Romantik besonders auf das Seelische, auf das Gefühl.

Die Kritik der Romantiker an der Aufklärung war, dass der Mensch aus mehr bestehe als aus der kantischen Rationalität.

Dresden Magazin: Die Romantik war damit auch ein philosophisches Projekt?

Safranski: Absolut. Die Romantiker fühlen sich tatsächlich wie jemand, der neues Land erobert – und zwar im Menschen selbst. Seit Freud ist die Rede über das Unbewusste ganz selbstverständlich, aber die Romantiker haben dafür die Basis gelegt. Sie begannen mit dem Unbewussten im Menschen. Denken Sie an die Abgründe bei E.T.A. Hoffmann.

Dresden Magazin: Die Romantiker fokussierten stark auf die Künste ...

Safranski: Sie entwickeln einen geradezu selbstbewussten Trotz, die Kunst, die Literatur, die schönen Künste, alles zusammengefasst an die Spitze zu setzen. Für sie ist die Kunst eine Pforte zu unseren besten, unseren produktivsten Seiten. Dabei stemmen sie sich auch gegen das rationalistische und ökonomistische Denken. Sie wollen auch nicht, dass die Kunst so einfach zu Markte geht und zur Ware wird.

Die Kunst ist wirklich etwas Heiliges. Das sieht man auch in den Bildern von Caspar David Friedrich. Obwohl es Landschaftsbilder sind, haben sie etwas Sakrales.

Dresden Magazin: Die Romantik als Kunstreligion?

Safranski: Schon in der romantischen Epoche merkt man, dass das Christentum bzw. die Religiosität der Menschen nachlässt. Die Romantik ist als Bewegung ein Stück weit der Versuch, den Platz einzunehmen, den vormals die Religion hatte. Nicht unbedingt thematisch, sondern als Bedeutungsperspektive: Die Kunst rührt ans Geheimnis der Welt. Früher war das die Religion und jetzt macht das die Kunst. Man kann also sagen, in der Romantik gibt es so etwas wie die Fortsetzung der Religion mit ästhetischen Mitteln und das hat natürlich weit ausgestrahlt. Vor diesem Hintergrund könnte man sagen, dass Richard Wagners Versuch, im letzten Drittel des 19. Jahrhunderts, also lange nach der romantischen Epoche, in Bayreuth ein quasisakrales Ereignis zu begründen und die Kunst als Gesamtkunstwerk zu zelebrieren, ein durch und durch romantisches Anliegen ist. Das ist Romantik in ihrer selbstbewusstesten Form.

Dresden Magazin: Dresden war neben Jena und Berlin ein intellektuelles Zentrum der Romantik.

Safranski: Es ist ja nicht nur das Personal, also etwa Caspar David Friedrich und Carl Maria von Weber, sondern es ist der Reiz, den die Stadt auf die intellektuellen Gründer der romantischen Epoche ausübte. Für Friedrich Schlegel zum Beispiel, war der Besuch der Gemäldeausstellungen in Dresden, überhaupt die Stadt als Juwel der Architektur ein prägendes Erlebnis. Für ihn war Dresden ein Inspirationsraum, diese an Künsten so reiche, ja beinahe unendlich schöne Gestalt der Stadt, das war sehr wichtig.

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Der berühmte Maler lebte und wirkte 40 Jahre lang in der Elbstadt. 2024 würdigt Dresden das Genie der Romantik mit zahlreichen Ausstellungen

Dresden Magazin: Brauchen wir heute eine neue Romantik?

Safranski: Wir brauchen das Romantische einfach deswegen, weil wir Gefahr laufen, eindimensional zu werden. Romantik ist Entdeckung des inneren Reichtums. Und in einer Situation, in der einerseits das Ökonomistische überhandnimmt und auf der anderen Seite, Stichwort Künstliche Intelligenz (KI), das Rechenhafte, Algorithmische, sind wir gut beraten, geistige und seelische Prozesse nicht außer Acht zu lassen. Gerade bei der KI haben wir es mit Geistprodukten zu tun, die kein Subjekt mehr hinter sich haben. Das ist ja das Betriebsgeheimnis der KI. Wir haben es hier mit einem Objekt zu tun, wo, ich sag es noch mal: wo es kein Subjekt dahinter gibt. Und Romantik ist Geist in der subjektivsten Form, wo die Quellen des Subjektiven im Sinne des Emotionalen, des Spekulativen, des Seelenvollen mobilisiert und zum Ausdruck gebracht werden.

Insofern: Je ökonomistischer und im Übrigen auch politisierter und rationalistischer unser Alltagsumgang wird, desto kostbarer ist die Bewahrung des Romantischen.

Romantik. Eine deutsche Affäre – Lesung mit Rüdiger Safranski

am 25. April 2024, 19.00 Uhr

im Saal des Stadtmuseums Dresden (Landhaus), Wilsdruffer Str. 2

Tickets bzw. Reservierungen gibt es unter service@museen-dresden.de oder 0351/ 488 72 72