Die neue Ausstellung hinterfragt aktuelle Erkenntnisse der Genforschung aus der Perspektive der Sozial- und Kulturwissenschaften. Foto: Sebastian Kahnert
"Von Genen und Menschen. Wer wir sind und werden könnten" heißt die neue Sonderausstellung, die am vergangenen Samstag im Deutschen Hygiene-Museum eröffnet wurde und die Chancen und Risiken der modernen Gentechnik diskutiert. Wir haben mit Kuratorin Dr. Viktoria Krason über die Ausstellung, den aktuellen Stand in der Genforschung und die Problematik von Gentests gesprochen.
Frau Dr. Krason, vor 25 Jahren gab es im Hygiene-Museum die Ausstellung „Genwelten“. Jetzt folgt die Ausstellung „Von Genen und Menschen“. Was hat sich seitdem verändert? Dr. Krason: Vor 25 Jahren befanden wir uns an einem bemerkenswerten Zeitpunkt in der Geschichte der Genforschung: Das Humangenomprojekt stand kurz vor dem Abschluss. Es sollte zum ersten Mal das menschliche Erbgut komplett entschlüsseln. Die Hoffnungen bezüglich des Wissens und der medizinischen Möglichkeiten, die das Projekt erschließen sollte, waren sehr groß. Diese Stimmung spiegelte sich teilweise auch in der damaligen Ausstellung des Museums. Die sehr hohen Erwartungen konnte das Humangenomprojekts jedoch anschließend nicht erfüllen: Es stellte sich heraus, dass der Mensch nur etwa so viele Gene hat wie eine Fruchtfliege. Seitdem hat es in der Genetik viele neue Entwicklungen gegeben und wir befinden uns wieder an einem Punkt, an dem die Erwartungen sehr hoch sind.
Wo stehen wir zurzeit in der Genforschung? Seit einigen Jahren kann menschliches Erbgut sehr schnell und günstig entschlüsselt werden. Die großen Datenmengen lassen sich vergleichen und analysieren. Das ist die Basis für viele Fortschritte in der Grundlagenforschung, aber auch für die Entwicklung von Therapien und Impfstoffen – wie jenen mRNA-Impfstoffen, die uns in der Corona-Pandemie geholfen haben. Außerdem gibt es heute relativ einfache Methoden, Gensequenzen zu verändern, auch in der menschlichen Keimbahn, also in den Zellen, in denen Erbanlagen bei der Fortpflanzung von Generation zu Generation weitergegeben werden. Sollten diese Verfahren irgendwann ganz ausgereift sein, wäre es theoretisch möglich, bestimmte Erbkrankheiten zu verhindern.
Die Genforschung hat bewiesen, dass wir Menschen etwa 99,9 Prozent unseres Erbguts gemeinsam haben.
sagt Kuratorin Dr. Viktoria Krason
Das klingt alles sehr positiv. Hat der Fortschritt auch Schattenseiten? Methoden der Genomeditierung, also der Veränderung des Erbguts, befinden sich noch in der Entwicklung, ihre Risiken sind noch lange nicht abschließend erforscht. Je weiter die Forschung voranschreitet, desto wahrscheinlicher wird die Anwendung dieser Verfahren, eventuell auch über das Heilen von Krankheiten hinaus hin zu mehr Selbstoptimierung. Aber was ist mit all denen, die sich nicht optimieren wollen oder können? Als Gesellschaft sollten wir vorab Antworten auf die Frage finden, ob und wie wir solche Methoden einsetzen möchten und wie ihre Anwendung reguliert werden könnte.
Gerade in der deutschen Geschichte war Genetik allerdings auch vielfach gleichbedeutend mit Rassismus und Ausgrenzung. Wie geht die Ausstellung mit diesen Themen um? Die Ausstellung thematisiert an vielen Stellen die sogenannte Rasseforschung und Eugenik im Nationalsozialismus, um auf Gefahren von rassistisch geleiteter Forschung und ihrer politischen Instrumentalisierung hinzuweisen. Die Wissenschaften selbst haben in der zweiten Hälfte des zwanzigsten Jahrhunderts gezeigt, dass es „Menschenrassen“ nicht gibt. So hat die Genforschung bewiesen, dass wir Menschen etwa 99,9 Prozent unseres Erbguts gemeinsam haben. Trotzdem werden auch die geringen Unterschiede zwischen uns genetisch erforscht und wir befassen uns in der Ausstellung insbesondere mit den Gefahren, die mit der vereinfachten Darstellung von Ergebnissen aus der Humangenetik einhergehen können.
Was sind mögliche Gefahren? In den USA sind beispielsweise kommerzielle Gentests beliebt, die versprechen, die geografische Herkunft der Vorfahren eines Menschen zu ermitteln. Im Ergebnis heißt es dann etwa: Sie haben zu 10 Prozent italienische Wurzeln, zu 5 Prozent afrikanische und zu 70 Prozent osteuropäische. So ein Ergebnis vermittelt fälschlicherweise den Eindruck, als wäre die Abstammung fest umrissener Menschengruppen biologisch definierbar.
Es gibt keine Position im Genom, die eindeutig einer Weltregion, geschweige denn einer Nationalität zugeordnet werden kann.
Lässt sich Herkunft denn anhand solcher Gentests tatsächlich bestimmen? Bei diesen Tests werden Wahrscheinlichkeiten bestimmt, die von verschiedenen Bedingungen abhängen. Genetiker vergleichen Teile des Erbguts eines Menschen mit genetischen Daten von Individuen, die aus einer bestimmten Region kommen und von denen sie annehmen, dass ihre Vorfahren mehre Generationen lang dort gelebt haben, auf Ähnlichkeiten hin. Je mehr Vergleichsdaten vorliegen, desto präziser kann das Ergebnis sein. Allerdings leben wir in einer schon immer von Migration geprägten Welt, in der Menschen auch abseits ihres Geburtsortes Beziehungen miteinander eingehen, was diese Vergleiche komplizierter macht. Es gibt jedenfalls keine Position im Genom, die eindeutig einer Weltregion, geschweige denn einer Nationalität zugeordnet werden kann.
Was genau zeigt uns die Ausstellung? Wir sehen in der Ausstellung, mit welchen Bildern, Informationen und Produkten wissenschaftliche Erkenntnisse in die Gesellschaft hineinwirken und welche Debatten sie anstoßen. Sie werden mit Werken der zeitgenössischen Kunst kombiniert, aber auch mit interaktiven Stationen. Eine der vier Abteilungen der Ausstellungen widmet sich dem Thema „Herkunft“, dem Zusammenhang von Genen und Geografie, der für die genetische Erforschung der frühesten Menschheitsgeschichte wichtig ist, aber auch für Forensik und Medizin. Gerade in dieser Abteilung wird deutlich, wie politisch Genforschung sein kann.
"Von Genen und Menschen. Wer wir sind und werden könnten" heißt die neue Sonderausstellung, die am vergangenen Samstag im Deutschen Hygiene-Museum eröffnet wurde und die Chancen und Risiken der modernen Gentechnik diskutiert. Wir haben mit Kuratorin Dr. Viktoria Krason über die Ausstellung, den aktuellen Stand in der Genforschung und die Problematik von Gentests gesprochen.
Frau Dr. Krason, vor 25 Jahren gab es im Hygiene-Museum die Ausstellung „Genwelten“. Jetzt folgt die Ausstellung „Von Genen und Menschen“. Was hat sich seitdem verändert?
Dr. Krason: Vor 25 Jahren befanden wir uns an einem bemerkenswerten Zeitpunkt in der Geschichte der Genforschung: Das Humangenomprojekt stand kurz vor dem Abschluss. Es sollte zum ersten Mal das menschliche Erbgut komplett entschlüsseln. Die Hoffnungen bezüglich des Wissens und der medizinischen Möglichkeiten, die das Projekt erschließen sollte, waren sehr groß. Diese Stimmung spiegelte sich teilweise auch in der damaligen Ausstellung des Museums. Die sehr hohen Erwartungen konnte das Humangenomprojekts jedoch anschließend nicht erfüllen: Es stellte sich heraus, dass der Mensch nur etwa so viele Gene hat wie eine Fruchtfliege. Seitdem hat es in der Genetik viele neue Entwicklungen gegeben und wir befinden uns wieder an einem Punkt, an dem die Erwartungen sehr hoch sind.
Wo stehen wir zurzeit in der Genforschung?
Seit einigen Jahren kann menschliches Erbgut sehr schnell und günstig entschlüsselt werden. Die großen Datenmengen lassen sich vergleichen und analysieren. Das ist die Basis für viele Fortschritte in der Grundlagenforschung, aber auch für die Entwicklung von Therapien und Impfstoffen – wie jenen mRNA-Impfstoffen, die uns in der Corona-Pandemie geholfen haben. Außerdem gibt es heute relativ einfache Methoden, Gensequenzen zu verändern, auch in der menschlichen Keimbahn, also in den Zellen, in denen Erbanlagen bei der Fortpflanzung von Generation zu Generation weitergegeben werden. Sollten diese Verfahren irgendwann ganz ausgereift sein, wäre es theoretisch möglich, bestimmte Erbkrankheiten zu verhindern.
Das klingt alles sehr positiv. Hat der Fortschritt auch Schattenseiten?
Methoden der Genomeditierung, also der Veränderung des Erbguts, befinden sich noch in der Entwicklung, ihre Risiken sind noch lange nicht abschließend erforscht. Je weiter die Forschung voranschreitet, desto wahrscheinlicher wird die Anwendung dieser Verfahren, eventuell auch über das Heilen von Krankheiten hinaus hin zu mehr Selbstoptimierung. Aber was ist mit all denen, die sich nicht optimieren wollen oder können? Als Gesellschaft sollten wir vorab Antworten auf die Frage finden, ob und wie wir solche Methoden einsetzen möchten und wie ihre Anwendung reguliert werden könnte.
Gerade in der deutschen Geschichte war Genetik allerdings auch vielfach gleichbedeutend mit Rassismus und Ausgrenzung. Wie geht die Ausstellung mit diesen Themen um?
Die Ausstellung thematisiert an vielen Stellen die sogenannte Rasseforschung und Eugenik im Nationalsozialismus, um auf Gefahren von rassistisch geleiteter Forschung und ihrer politischen Instrumentalisierung hinzuweisen. Die Wissenschaften selbst haben in der zweiten Hälfte des zwanzigsten Jahrhunderts gezeigt, dass es „Menschenrassen“ nicht gibt. So hat die Genforschung bewiesen, dass wir Menschen etwa 99,9 Prozent unseres Erbguts gemeinsam haben. Trotzdem werden auch die geringen Unterschiede zwischen uns genetisch erforscht und wir befassen uns in der Ausstellung insbesondere mit den Gefahren, die mit der vereinfachten Darstellung von Ergebnissen aus der Humangenetik einhergehen können.
Was sind mögliche Gefahren?
In den USA sind beispielsweise kommerzielle Gentests beliebt, die versprechen, die geografische Herkunft der Vorfahren eines Menschen zu ermitteln. Im Ergebnis heißt es dann etwa: Sie haben zu 10 Prozent italienische Wurzeln, zu 5 Prozent afrikanische und zu 70 Prozent osteuropäische. So ein Ergebnis vermittelt fälschlicherweise den Eindruck, als wäre die Abstammung fest umrissener Menschengruppen biologisch definierbar.
Lässt sich Herkunft denn anhand solcher Gentests tatsächlich bestimmen?
Bei diesen Tests werden Wahrscheinlichkeiten bestimmt, die von verschiedenen Bedingungen abhängen. Genetiker vergleichen Teile des Erbguts eines Menschen mit genetischen Daten von Individuen, die aus einer bestimmten Region kommen und von denen sie annehmen, dass ihre Vorfahren mehre Generationen lang dort gelebt haben, auf Ähnlichkeiten hin. Je mehr Vergleichsdaten vorliegen, desto präziser kann das Ergebnis sein. Allerdings leben wir in einer schon immer von Migration geprägten Welt, in der Menschen auch abseits ihres Geburtsortes Beziehungen miteinander eingehen, was diese Vergleiche komplizierter macht. Es gibt jedenfalls keine Position im Genom, die eindeutig einer Weltregion, geschweige denn einer Nationalität zugeordnet werden kann.
Was genau zeigt uns die Ausstellung?
Wir sehen in der Ausstellung, mit welchen Bildern, Informationen und Produkten wissenschaftliche Erkenntnisse in die Gesellschaft hineinwirken und welche Debatten sie anstoßen. Sie werden mit Werken der zeitgenössischen Kunst kombiniert, aber auch mit interaktiven Stationen. Eine der vier Abteilungen der Ausstellungen widmet sich dem Thema „Herkunft“, dem Zusammenhang von Genen und Geografie, der für die genetische Erforschung der frühesten Menschheitsgeschichte wichtig ist, aber auch für Forensik und Medizin. Gerade in dieser Abteilung wird deutlich, wie politisch Genforschung sein kann.
„Von Genen und Menschen“ läuft noch bis zum 10. September 2023. Öffnungszeiten: Di-So sowie Feiertage, 10-18 Uhr. Der Eintritt ins Deutsche Hygiene-Museum kostet 10 Euro, ermäßigt 5 Euro. Kinder und Jugendliche unter 16 Jahren zahlen nichts. Online-Tickets gibt es hier, Infos zur Anreise hier.
Noch bis zum 5. März 2023: Ausstellung „Fake – Die ganze Wahrheit“ im Deutschen Hygiene-Museum
Hier geht’s zum Interview mit Kurator Daniel Tyradellis