Kaum ein Besucher wusste, was sich hinter der nüchternen weißen Wand im Treppenhausfoyer des Deutschen Hygiene-Museums verbirgt: Ein „echter“ Gerhard Richter, ein monumentales Frühwerk des weltberühmten Künstlers mit den Dresdner Wurzeln. 1979 wurde es überstrichen und geriet nahezu in Vergessenheit. Jetzt wird es im Rahmen einer Schaurestaurierung teilweise freigelegt. Das einzigartige Zeitdokument gelangt damit wieder in die Öffentlichkeit.
Noch ist die Wand im Foyer des Deutschen Hygiene-Museums überwiegend weiß. Doch an mehreren Stellen blitzen schon Farben auf, lassen sich Figuren und ganze Szenen erkennen wie die Strandszene im Mittelteil des Wandgemäldes. „Lebensfreude“ lautet der Titel der 63 Quadratmeter großen Arbeit des Ausnahmekünstlers Gerhard Richter, die dort in Teilen freigelegt wird. Die 1956 entstandene Diplomarbeit des Malers zeigt verschiedene Figurengruppen in unterschiedlichen Alltags- und Freizeitszenen.
Seit Dezember 2023 arbeitet sich das Restauratoren-Team der Kunsthochschule Dresden durch die verschiedenen Farbschichten, die über Richters Frühwerk liegen. Interessierte können ihnen bei der Arbeit zusehen und den Fortschritt live mitverfolgen. Das Projekt ist Teil der Sonderausstellung “VEB Museum. Das Deutsche Hygiene-Museum in der DDR”, die sich mit der jüngeren Vergangenheit des Hauses auseinandersetzt. Das „vergessene“ Richter-Gemälde, der Akt des Freilegens und Wiederentdeckens, ist Sinnbild dieser Auseinandersetzung.
Gerhard Richter: Kunst-Weltstar mit Dresdner Wurzeln
Gerhard Richter, weltweit als einer der bedeutendste Maler der Gegenwart gefeiert, ist einst von Dresden aus in die Welt aufgebrochen. Hier wurde er am 9. Februar 1932 geboren und verbrachte seine ersten Jahre. 1951 kehrte er zum Studium an der Kunsthochschule auf der Brühlschen Terrasse nach Dresden zurück. „Lebensfreude“ war das vorgegebene Thema für seine Diplomarbeit im Fach Wandmalerei. Eine Auftragsarbeit, bei deren Interpretation von künstlerischer Freiheit keine Rede sein konnte: Der DDR-Kunstbegriff dieser Zeit war auf die enge Formel des Sozialistischen Realismus genormt.
Zwar beherrschte Richter die politisch erwünschte Formsprache perfekt, wie die Note „sehr gut“ für seine Abschlussarbeit zeigte. Er entwickelte jedoch zunehmend andere Vorstellungen vom Kunstschaffen. Die documenta II in Kassel, die er 1961 besuchte, war für ihn ein Augenöffner. Wenige Monate später und kurz vor dem Bau der Berliner Mauer, entschied er sich, der DDR den Rücken zu kehren. „Lebensfreude“ wurde 1979 mit Zustimmung des Instituts für Denkmalpflege übermalt. Die „Republikflucht“ des Malers spielte dabei sicherlich eine Rolle.
Interview mit den Kuratorinnen der neuen Ausstellung, die am 9. März 2024 startet
Friede-Freude-Eierkuchen-Idylle
Dass Richters Diplomarbeit unter den Farbschichten überdauerte, grenzt an ein Wunder. Vieles, wie zwei weitere Wandgemälde aus seiner Dresdner Zeit, ist unwiederbringlich zerstört. Der Künstler war dennoch nicht begeistert, als man sich in den 90er-Jahren an das Bild erinnerte, zwei kleine Ausschnitte freilegte und über eine Restaurierung nachdachte.
Er hatte kein Interesse an der Wiederherstellung. Von seinen in der DDR entstandenen frühen Werken hat sich Gerhard Richter lange Zeit distanziert, sein künstlerisches Schaffen begann für ihn erst nach der Ausreise 1962. Das Dresdner Wandgemälde bezeichnete er als „Jugendsünde“ und erklärte, es wäre „Blödsinn, die Friede-Freude-Eierkuchen-Idylle wie eine Reliquie zu behandeln“. Man sollte es doch bitte „so zugepinselt lassen, wie es ist.“ Die Ausschnitte wurden wieder übermalt.
Den Farbfilm vergessen
Erst im letzten Jahr änderte er seine Meinung. Iris Edenheiser, Direktorin des Deutschen Hygiene-Museums, ergriff im Zuge der geplanten Sonderausstellung „VEB Museum“ die Initiative. Auf einen Brief des Museums folgte das Ja des Künstlers. Nun darf das Hygiene-Museum das Bild doch zum Vorschein bringen. Wenn alles gut läuft, sollen rund 18 Quadratmeter bis Oktober 2024 freigelegt werden. Überraschend ist dabei vor allem die zutage tretende Farbigkeit des Bildes, das durch Fotos gut dokumentiert ist. Es sind jedoch allesamt Schwarz-Weiß-Aufnahmen, nicht eines war in Farbe.
Gerhard Richter in Dresden
Das Gerhard Richter Archiv (kurz: GRA) wurde im Februar 2006 als eine Einrichtung der Staatlichen Kunstsammlungen Dresden gegründet. Es dient als Speicherort, Forschungseinrichtung und kuratiert zwei Räume mit Werken Gerhard Richters in der ständigen Ausstellung im Albertinum. Die Arbeit des Archivs geschieht in enger Absprache mit dem Kölner Atelier des Künstlers.
Im zweiten Obergeschoss des Albertinum sind zwei Räume permanent dem Werk Gerhard Richters gewidmet. Die darin ausgestellten Werke, darunter Dauerleihgaben der Bundesrepublik Deutschland und des Künstlers selbst, geben Einblick in das vielseitige Schaffen des Künstlers. Die Räume werden mehrmals im Jahr umgebaut und eröffnen so immer neue Facetten von Richters Werken.
Kaum ein Besucher wusste, was sich hinter der nüchternen weißen Wand im Treppenhausfoyer des Deutschen Hygiene-Museums verbirgt: Ein „echter“ Gerhard Richter, ein monumentales Frühwerk des weltberühmten Künstlers mit den Dresdner Wurzeln. 1979 wurde es überstrichen und geriet nahezu in Vergessenheit. Jetzt wird es im Rahmen einer Schaurestaurierung teilweise freigelegt. Das einzigartige Zeitdokument gelangt damit wieder in die Öffentlichkeit.
Noch ist die Wand im Foyer des Deutschen Hygiene-Museums überwiegend weiß. Doch an mehreren Stellen blitzen schon Farben auf, lassen sich Figuren und ganze Szenen erkennen wie die Strandszene im Mittelteil des Wandgemäldes. „Lebensfreude“ lautet der Titel der 63 Quadratmeter großen Arbeit des Ausnahmekünstlers Gerhard Richter, die dort in Teilen freigelegt wird. Die 1956 entstandene Diplomarbeit des Malers zeigt verschiedene Figurengruppen in unterschiedlichen Alltags- und Freizeitszenen.
Seit Dezember 2023 arbeitet sich das Restauratoren-Team der Kunsthochschule Dresden durch die verschiedenen Farbschichten, die über Richters Frühwerk liegen. Interessierte können ihnen bei der Arbeit zusehen und den Fortschritt live mitverfolgen. Das Projekt ist Teil der Sonderausstellung “VEB Museum. Das Deutsche Hygiene-Museum in der DDR”, die sich mit der jüngeren Vergangenheit des Hauses auseinandersetzt. Das „vergessene“ Richter-Gemälde, der Akt des Freilegens und Wiederentdeckens, ist Sinnbild dieser Auseinandersetzung.
Gerhard Richter: Kunst-Weltstar mit Dresdner Wurzeln
Gerhard Richter, weltweit als einer der bedeutendste Maler der Gegenwart gefeiert, ist einst von Dresden aus in die Welt aufgebrochen. Hier wurde er am 9. Februar 1932 geboren und verbrachte seine ersten Jahre. 1951 kehrte er zum Studium an der Kunsthochschule auf der Brühlschen Terrasse nach Dresden zurück. „Lebensfreude“ war das vorgegebene Thema für seine Diplomarbeit im Fach Wandmalerei. Eine Auftragsarbeit, bei deren Interpretation von künstlerischer Freiheit keine Rede sein konnte: Der DDR-Kunstbegriff dieser Zeit war auf die enge Formel des Sozialistischen Realismus genormt.
Zwar beherrschte Richter die politisch erwünschte Formsprache perfekt, wie die Note „sehr gut“ für seine Abschlussarbeit zeigte. Er entwickelte jedoch zunehmend andere Vorstellungen vom Kunstschaffen. Die documenta II in Kassel, die er 1961 besuchte, war für ihn ein Augenöffner. Wenige Monate später und kurz vor dem Bau der Berliner Mauer, entschied er sich, der DDR den Rücken zu kehren. „Lebensfreude“ wurde 1979 mit Zustimmung des Instituts für Denkmalpflege übermalt. Die „Republikflucht“ des Malers spielte dabei sicherlich eine Rolle.
VEB Museum. Das Deutsche Hygiene-Museum in der DDR
Interview mit den Kuratorinnen der neuen Ausstellung, die am 9. März 2024 startet
Friede-Freude-Eierkuchen-Idylle
Dass Richters Diplomarbeit unter den Farbschichten überdauerte, grenzt an ein Wunder. Vieles, wie zwei weitere Wandgemälde aus seiner Dresdner Zeit, ist unwiederbringlich zerstört. Der Künstler war dennoch nicht begeistert, als man sich in den 90er-Jahren an das Bild erinnerte, zwei kleine Ausschnitte freilegte und über eine Restaurierung nachdachte.
Er hatte kein Interesse an der Wiederherstellung. Von seinen in der DDR entstandenen frühen Werken hat sich Gerhard Richter lange Zeit distanziert, sein künstlerisches Schaffen begann für ihn erst nach der Ausreise 1962. Das Dresdner Wandgemälde bezeichnete er als „Jugendsünde“ und erklärte, es wäre „Blödsinn, die Friede-Freude-Eierkuchen-Idylle wie eine Reliquie zu behandeln“. Man sollte es doch bitte „so zugepinselt lassen, wie es ist.“ Die Ausschnitte wurden wieder übermalt.
Den Farbfilm vergessen
Erst im letzten Jahr änderte er seine Meinung. Iris Edenheiser, Direktorin des Deutschen Hygiene-Museums, ergriff im Zuge der geplanten Sonderausstellung „VEB Museum“ die Initiative. Auf einen Brief des Museums folgte das Ja des Künstlers. Nun darf das Hygiene-Museum das Bild doch zum Vorschein bringen. Wenn alles gut läuft, sollen rund 18 Quadratmeter bis Oktober 2024 freigelegt werden. Überraschend ist dabei vor allem die zutage tretende Farbigkeit des Bildes, das durch Fotos gut dokumentiert ist. Es sind jedoch allesamt Schwarz-Weiß-Aufnahmen, nicht eines war in Farbe.
Gerhard Richter in Dresden
Das Gerhard Richter Archiv (kurz: GRA) wurde im Februar 2006 als eine Einrichtung der Staatlichen Kunstsammlungen Dresden gegründet. Es dient als Speicherort, Forschungseinrichtung und kuratiert zwei Räume mit Werken Gerhard Richters in der ständigen Ausstellung im Albertinum. Die Arbeit des Archivs geschieht in enger Absprache mit dem Kölner Atelier des Künstlers.
Im zweiten Obergeschoss des Albertinum sind zwei Räume permanent dem Werk Gerhard Richters gewidmet. Die darin ausgestellten Werke, darunter Dauerleihgaben der Bundesrepublik Deutschland und des Künstlers selbst, geben Einblick in das vielseitige Schaffen des Künstlers. Die Räume werden mehrmals im Jahr umgebaut und eröffnen so immer neue Facetten von Richters Werken.
09. Mär 2024 bis 17. Nov 2024: Sonderausstellung „VEB Museum. Das Deutsche Hygiene-Museum in der DDR“