A Long Lasting Affair

Tanzkongress 2019

Foto: Eva Würdinger. Die Choreografin Meg Stuart ist Künstlerische Leiterin des Tanzkongresses 2019

Der Tanzkongress findet alle drei Jahre statt – diesmal in Dresden. In Hellerau bringt sich vom 5. bis zum 10. Juni die internationale Choreografie-, Tanz- und Dramaturgie-Szene auf den neuesten Stand: mit Workshops, Seminaren und einer ganzen Reihe von Veranstaltungen, die wie Satelliten um das Festival kreisen. Künstlerische Leiterin ist die weltweit gefeierte Choreografin Meg Stuart.

Das Motto des diesjährigen Kongresses ist vieldeutig: „A Long Lasting Affair“. Geht es dabei um romantische Affären, um Intimität, Unverbindlichkeit und Sex? Meg Stuart hat in ihren Stücken jedenfalls immer wieder die Körperlichkeit in den Vordergrund gestellt. Ihren ersten großen Erfolg feierte die gebürtige US-Amerikanerin 1991 auf dem belgischen „Klapstuk Festival“ mit einer abendfüllenden Arbeit namens „Disfigure Study“. Ein beklemmendes Stück, in dem mittels abrupter Bewegungsabläufe und hektisch flackernder Lichteffekte Leiber geradezu zerstückelt erscheinen.

Im März gastierte Stuart mit „Until Our Hearts Stop“ (uraufgeführt 2015 an den Münchner Kammerspielen) in Dresden. Ein Werk, das seine Performer in besonders intimen Situationen zeigt. Unbekleidet und mit vollem Körperkontakt von harmonischer Einheit über völlige Erschöpfung bis zu purer Aggression.

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Vielleicht ist mit der „Long Lasting Affair“ aber auch etwas anderes gemeint. Die Affäre hat schließlich auch immer etwas Flüchtiges. Der Tanzkongress dauert eine knappe Woche – das ist eine kurze, wenngleich intensive Annäherung. Die Fragen, die sich die Szene momentan stellt, sollen gemeinschaftlich und auf vielfältige Weise verhandelt werden.

Im Festspielhaus Hellerau gibt es Workshops, Vorträge, Debatten und zahlreiche Formate, die als Experiment konzipiert sind: als Ritual oder Meditation, als Momentaufnahme einer Stimmung.

Die fünfte Ausgabe des Tanzkongresses

Andererseits: Es ist ja eine „Long Lasting Affair“. Lang andauernd. Aus der „affair“ würde so auch schlicht eine Angelegenheit werden. Den Tanzkongress gibt es seit 2006, alle drei Jahre findet er in einer anderen Stadt statt. Berlin (2006), Hamburg (2009), Düsseldorf (2013), Hannover (2016) und nun Dresden.

Und sie bleibt nicht nur auf den Kongress selbst beschränkt. Ab dem 1. Juni macht sich der Tanzkongress mit dem Kunstwerk „Still Untitled@Tanzkongress2019“ von Xavier Le Roy und Scarlet Yu bemerkbar. Und rund um die Welt haben Salons und Diskussionen das Treffen vorbereitet.

Henning Rogge
„Still Untitled“ von Xavier Le Roy und Scarlet Yu versteht sich als Kunstwerk im öffentlichen Raum. In der ersten Ausgabe in Münster hat es die Form von Skulpturen angenommen. In Dresden gerät „Still Untitled“ als Performance in Bewegung.
Henning Rogge
„Still Untitled“ von Xavier Le Roy und Scarlet Yu versteht sich als Kunstwerk im öffentlichen Raum. In der ersten Ausgabe in Münster hat es die Form von Skulpturen angenommen. In Dresden gerät „Still Untitled“ als Performance in Bewegung.
Henning Rogge
„Still Untitled“ von Xavier Le Roy und Scarlet Yu versteht sich als Kunstwerk im öffentlichen Raum. In der ersten Ausgabe in Münster hat es die Form von Skulpturen angenommen. In Dresden gerät „Still Untitled“ als Performance in Bewegung.

Neue Wege des Miteinanders

Mit den Schlagworten „listening“, „transformation“ und „agreement“ (also etwa: Zuhören, Umwandeln, Übereinkommen) hat sich der Tanzkongress auch den Auftrag gegeben, andere Formen der Kommunikation zu finden – keine schlechte Idee in politisch derart aufgeheizten Zeiten.

Ein historischer Vorgänger des Tanzkongresses sind die Tänzerkongresse. Ins Leben gerufen vom Dramaturgen Hanns Niedecken-Gebhard und dem Choreografen Rudolf von Laban, sollten die Treffen 1927, 1928 und 1930 zur Neubestimmung ästhetischer Positionen und zur Vernetzung dienen. Dabei wurde auch erforscht, wie die Choreografie in den Dienst der Ideologie treten konnte: Die beiden Kongress-Gründer wurden in der Zeit des Nationalsozialismus zu führenden Akteuren der Tanzpolitik. Niedecken-Gebhard etwa inszenierte die Eröffnungsfeier der Olympischen Sommerspiele 1936 in Deutschland.

Ekstase als Prinzip: Monte Verità und Magdeburg

An den ersten Tänzerkongress in Magdeburg 1927 erinnert man sich jedoch vor allem wegen seines legendären Höhepunktes: Die Versammlung gipfelte in einem aberwitzigen Fest. Wie kaum eine andere Kunstform ist der Tanz geprägt von Verausgabung, von Chaos und Rauschzuständen.

Anarchische Partystimmung herrschte auch auf dem Monte Verità, ein weiterer Bezugspunkt in Stuarts Kongress-Konzept. Dieser Tessiner Berg beherbergte zu Beginn des 20. Jahrhunderts eine Künstlerkolonie, die den Ausdruckstanz revolutionierte und zur Heimstatt für Ekstase und Spiritualität wurde.

Man darf also gespannt sein, in welche Richtung sich die Bühnen in Dresden nach dem Tanzkongress entwickeln. Tanz als Wegweiser für die soziale Utopie? Eine eingeschworene Gemeinschaft wird das in Hellerau erproben – und am Ende den Körper sprechen lassen.

Für ganz Dresden kann der Tanzkongress zur Party werden: „Down by the water“, unter diesem Titel geht es am 8. Juni an die Elbe. Am Ufer und auf dem Dampfschiff MS Gräfin Cosel mit Talk- und Tanzprogramm.

Vom Raum für Choreografie bis zum Ritual auf der Tanzfläche ist es nicht weit: Entsprechend gleitet der Abend in die Nacht – und der Tanzkongress kommt im Club objekt klein a zusammen.

Der Tanzkongress 2019 findet vom 5. bis 10 Juni im Festspielhaus Hellerau statt.
Weitere Informationen unter www.hellerau.org und www.tanzkongress2019.de

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