Warum es junge Kreative nach Dresden zieht

Drei Kreativunternehmen erzählen, wie sie Dresden in Bewegung halten

Jung, weltoffen und längst wirtschaftsrelevant: Dresdens Kreativszene bringt frischen Wind in die Stadt. Drei Kreativunternehmen diskutieren am runden Tisch, wie ihnen das gelingt.

Ohne Kreative wäre Dresden „nur eine Wiese an einem Fluss“, heißt es auf der Website von „Wir gestalten Dresden“, dem Netzwerk der Kultur- und Kreativwirtschaft der Elbestadt. Rund 19.000 kreative Freischaffende und 2.100 Unternehmen sind dort organisiert. Wir haben fünf Vertreter der Branche getroffen und gefragt, wie es der Kreativwirtschaft gelingt, die Stadt in Bewegung zu halten und warum sich junge Kreative gerade für Dresden als Lebens- und Arbeitsmittelpunkt entscheiden.

Diskussionsrunde der Dresdner Kreativwirtschaft
Dresdes Kreativszene am runden Tisch. Foto: Alex Meister

Diskutiert haben wir mit Lucas Klinkenbusch (l.) und Julia Krafft (r.) vom Architekturbüro Zirkulaar, die uns in die Welt des klimaneutralen Bauens mitnehmen, Nora Hilsky (3.v.l.) und Ronny Ullrich (4.v.l.) von der Kreativagentur CROMATICS, die für neue Formen der Zusammenarbeit steht, sowie Wiete Sommer (2.v.l.), Modedesignerin und Regisseurin, die klassische Formate gern mal auf den Kopf stellt.

Dresden ist euer Lebens- und Arbeitsmittelpunkt. Warum ausgerechnet Dresden?

Julia (Zirkulaar): Dresden ist einfach sehr lebenswert. Ich kenne einige deutsche Städte und Dresden ist für mich unter den Top 3 in Sachen Lebensqualität. Es ist unheimlich grün. Ich laufe fünf Minuten und bin an der Elbe.

Wiete Sommer: Das Netzwerk ist sehr fruchtbar. Ich schöpfe daraus, Menschen um mich zu haben, denen ich vertraue und mit denen ich nachhaltige Arbeitsmodelle aufbauen kann. Deswegen wollte ich nach dem Studium unbedingt nach Dresden zurück.

Nora (Cromatics): Wir haben hier den Spielraum und die Reichweite, um durch starke Kommunikation echten Impact zu erzeugen. Es gibt eine große Community, die verantwortungsbewusst denkt und sich für eine offene Gesellschaft einsetzt. Und die etwas praktiziert, was man anderswo selten findet: echte co-kreative Zusammenarbeit.

Vom Graffiti-Magazin zur Marken- und Kreativagentur: die Dresdner Agentur CROMATICS
Ursprünglich war CROMATICS ein Graffiti- Magazin. Heute arbeiten 25 Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter, darunter Nora Hilsky (l.) und Gründer Ronny Ullrich (r.), an der Zukunftsfähigkeit von Marken und setzten „nebenbei“ eigene Projekte wie das Streetart-Wahlplakat an einer Dresdner Häuserwand um. Foto: Alexandra Meister

Wie haltet ihr Dresden mit euren kreativen Ideen in Bewegung?

Wiete Sommer: In meinen Projekten auf und hinter der Bühne verbinde ich verschiedene Disziplinen und damit Menschen. Oft entsteht daraus Überraschendes. Etwa beim Projekt 4transfer, wo Wissenschaftstransfer durch künstlerische Übersetzung stattfand. Es geht mir um gutes Design, aber auch um den gemeinschaftlichen Prozess, kollegial und kokreativ zu arbeiten.

Ronny (Cromatics): „Be brave, be decent, be relevant. Leave your mark‘ ist unser Ansatz. Wie bei unserem Mural zur Landtagswahl, wo wir mit Streetart das größte Wahlplakat Sachsen auf eine Dresdner Häuserwand gebracht haben. Uns sind eine starke Demokratie und Meinungsfreiheit ultra
wichtig. Deswegen setzen wir uns für eine offene, diverse Gesellschaft ein und unterstützen
junge kreative Talente.

Lucas (Zirkulaar): Wir haben unseren Klimapavillon mitten in die Stadt gestellt, um zu zeigen, dass es möglich und notwendig ist, zirkulär und nachhaltig zu bauen. Unser nächstes Thema ist die Krise der Innenstadt. Hier entwickeln wir Konzepte, wie man leerstehende Geschäfte umnutzt, etwa als
Wohn- oder Kulturflächen.

Julia Krafft und Lucas Klingenbusch vom Architekturbüro Zirkulaar entwickeln nachhaltige Baukonzepte, die auf Wiederverwendbarkeit und zirkuläres Bauen setzen.
Julia Krafft (r.) und Lucas Klingenbusch (l.) sind die Gründer des Architekturbüros Zirkulaar. Ihr Konzept des zirkulären Bauens geht über das Recycling von Materialien hinaus – es macht Gebäude wiederverwendbar. Foto: Alexandra Meister

Ihr sprecht viel von Netzwerken. Welche nutzt ihr, wie bewegt ihr euch darin? 

Lucas (Zirkulaar): “Wir gestalten Dresden“ sind auf uns zugekommen und haben gesagt: „Ihr seid in der Gründungsphase? Wir haben einen Auftrag, legt los, wir vertrauen euch.“ Auch die zwei Impact Hubs in Dresden haben uns unterstützt, mit Coaching, Arbeitsraum für den Anfang und Kontakten in die Szene.  

Ronny (Cromatics): Bei “Kreatives Sachsen“ sind wir gut vernetzt, “Wir gestalten Dresden“ haben wir sogar mitgegründet. Der Verband ist aus der Initiative hervorgegangen, am 13. Februar geschlossen als Kreativbranche ein Zeichen für eine demokratische Stadtgesellschaft zu setzen.  

Wiete Sommer: Mein Experimentierraum war die Dresdner Clubszene, vor allem das „objekt klein a“. „Kreatives Sachsen“, der Verband der Kultur- und Kreativwirtschaft, machen eine super Lobbyarbeit. Auf der Stadtebene bietet das Netzwerk „Wir gestalten Dresden“ Austausch, Wissenstransfer und gemeinsame Projekte. Darüber hinaus bin ich in verschiedenen Kollektiven Mitglied. 

Wiete Sommer, freischaffende Modedesignerin, Regisseurin für zeitgenössische Bühnenproduktionen und Kuratorin kreativer Projekte.
Wiete Sommer ist Modedesignerin, Regisseurin für zeitgenössische Bühnenproduktionen und Kuratorin. Foto: Alexandra Meister

Das heißt, es gibt ein gemeinsames Anliegen der Kreativszene in Dresden?

Ronny (Cromatics): Ja, wir sind Demokraten, wir brauchen eine verantwortungsvolle Zivilgesellschaft, Diversität. Das ist es, was wir in die Stadt tragen wollen: Setzt euch mit diesen Themen auseinander, geht in Kommunikation.

Wiete Sommer: Das mache ich auch in meinen Projekten: Menschen herausfordern, künstlerische Position zu bilden oder generell Position zu beziehen und eigenverantwortlich zu sein.

Lucas (Zirkulaar): Nachhaltige Strukturen, nicht nur im Bau, sind existentiell. Wir müssen viel tun, wenn wir ein Modell für die Zukunft schaffen wollen. Das geht nur gemeinsam.

Welche Herausforderungen seht ihr, um die Stadt noch kreativer und zukunftsfähiger zu gestalten?

Nora (Cromatics): In Dresden gibt es diese Trennungen, zwischen Traditionellem und Neuem, Barock und Wissenschaft, Hochkultur und alternativer Szene, Tourismus und Mikroelektronik-Cluster. Dazwischen die Elbe. Jetzt, wo wir eine Brücke weniger haben, brauchen wir umso mehr die Brücken im Kopf. Wir können nur wachsen, wenn alle Seiten miteinander co-kreieren und sich nicht nur rüberwinken.

Julia (Zirkulaar): Wir müssen auch das Umland mitnehmen, da gab es massiv Versäumnisse in den letzten Jahrzehnten. Wie wichtig regionale Wertschöpfungsketten sind, nicht nur fürs Klima, sondern auch für die Menschen, haben wir in der Zusammenarbeit mit lokalen Handwerksbetrieben erlebt.

Wiete Sommer: Eine größere Akzeptanz für neue, unkonventionelle Ansätze ist dafür wichtig. Sie betrifft das Mindset, aber auch Förderstrukturen und die gesamte Leitkultur. Der Wert einer Arbeit lässt sich nicht am Umsatz oder den Verkaufszahlen messen.

Wenn ihr einen Wunsch frei hättet, welcher wäre das?

Wiete Sommer: Mehr Räume, in denen Menschen zusammenkommen, experimentieren und gestalten können. Daran mangelt es.

Nora (Cromatics): Ich würde mir wünschen, dass die Leute mutiger sind und Sachen auch mal aushalten. Nicht immer gleich alles wegwischen, weil Probleme auftauchen.

Julia (Zirkulaar): Raum und Experiment – das würde ich gerne übernehmen. Die komplexen Probleme unserer Zeit brauchen kreative Lösungen. Das geht manchmal schief, dann muss man lernen und es anders machen. Wenn man sich das traut und die richtigen Leute zusammenkommen, entsteht viel Gutes.

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