Künstliche Exzellenz aus Dresden

Wie ein junges Start-up die Forschung der Zukunft vorantreibt

Amac Garbe

Die sächsische Landeshauptstadt setzt auf Hochtechnologie: Gleich zwei neue Einrichtungen befassen sich mit Künstlicher Intelligenz (KI). Das Fraunhofer-Zentrum für Kognitive Produktionssysteme (CPS) hat am 11. Februar seine Arbeit aufgenommen. Außerdem gründen die Fraunhofer-Gesellschaft und die TU Dresden gemeinsam das Center für Künstliche Intelligenz (CEE AI). Der Informatik-Professor Frank Fitzek ist für den Aufbau der Einrichtung verantwortlich. Er ist zudem Gründer des Start-ups Wandelbots, das Kleidung entwickelt, mit der man Roboter programmieren kann.

Es ist eng in dem Kellerbüro nahe der TU Dresden. Mehrfach mussten die Schreibtische zusammengerückt werden, weil wieder neue Mitarbeiter kamen. Jetzt ist fast kein Platz mehr, dabei ist das Unternehmen kaum ein Jahr alt. Aber so ist das, wenn man eine bahnbrechende Entwicklung macht. „Wahnsinn, was gerade alles passiert“, sagt Christian Piechnick. Er und seine Frau Maria sind zwei der sechs Gründer von Wandelbots. „Ich komme fast nicht dazu, darüber nachzudenken – es ist einfach zu viel los.“ Wenn Frank Fitzek, Professor am Institut für Nachrichtentechnik der TU Dresden, recht hat, ist das allerdings erst der Anfang. Fitzek zählt zu den wichtigsten Innovatoren auf dem Gebiet der digitalen Kommunikation – und den Mitgründern des Start-ups. Er sagt: „Diese Idee könnte nicht nur die Welt verändern. Sie wird es.“

Es wird für viele Millionen Euro an Künstlicher Intelligenz (KI) geforscht. Also an der Frage, wie man Maschinen dazu bringen kann, etwas zu lernen. KI ist eines der ganz großen Zukunftsthemen. Das Problem aber ist die Anwendbarkeit. Schon deshalb, weil nur sehr große Firmen sich derartige Technologien überhaupt leisten können.

Eher Mission als Vision

Die Forscher der Wandelbots haben genau für dieses Problem eine Lösung gefunden. Sie haben ein System und eine Software entwickelt, mit deren Hilfe Maschinen angelernt werden können, selbst Arbeitsschritte und Abläufe zu erledigen. Bei der Montage eines Autofensters assistieren zum Beispiel. Oder einem Bäcker helfen, Brötchen zu formen. Christian Piechnick hat unzählige Möglichkeiten im Kopf, wohin es mit ihrer Entwicklung gehen könnte.

„Für die Programmierung von Robotern gibt es bisher vor allem Expertentools für speziell ausgebildete Fachleute“, sagt der 33-Jährige. „Wir wollen aber mit unserem System auch Mittelständlern den Zugang zu solchen Technologien verschaffen, eben einem Bäcker in der Lausitz zum Beispiel.“ Das ist ihre Vision. Wobei Vision es nicht genau treffe. „Wir verstehen es eher als Mission“, sagt Maria Piechnick.

Wie Bilderbuchnerds sehen die zwei, beide Anfang 30, nicht aus. Eher wie aus einer Kampagne für die junge, aufgeweckte Start-up-Generation. Er spricht schnell, hüpft von einem Gedanken zum nächsten, sie ist zurückhaltend, fast schüchtern. Beide haben Medieninformatik an der TU Dresden studiert. Nach ihrem Abschluss 2012 blieben sie als wissenschaftliche Mitarbeiter – in einem Umfeld, das sie anspornte, Neues auszuprobieren, auch unkonventionelle Wege zu gehen.

An der Schnittstelle: Christian und Maria Piechnick in ihrem Wandelbots-Büro in Dresden © Amac Garbe

„Wir haben uns viel mit selbstadaptiven Systemen beschäftigt, also Software, die in der Lage ist, sich an wechselnde Umgebungen anzupassen“, erklärt Christian Piechnick. „Dieses Thema ist entstanden, weil die Programmierung von Robotern noch sehr aufwendig und teuer ist. Es gab lange keine richtigen Übersetzungshilfen, auch nicht für die Wirtschaft.“

Es fing mit einer einfachen Jacke an

Ein Roboter, den sie an ihrem Lehrstuhl nutzen konnten, kam als Testobjekt gerade recht. Wie könnte man ihn ausbilden? Maria Piechnick hatte die Kernidee: mit „intelligenter Kleidung“, die man mit Sensoren bestückt – als eine Art technische Brücke, die Bewegungen auf den Roboter überträgt, die dann von ihm angenommen und wiederholt werden. Am Anfang experimentierten sie mit einer einfachen Jacke, die Maria Piechnick von zu Hause mitbrachte. „Wir haben angefangen, überhaupt erst mal Roboter mit Körperbewegungen fernzusteuern“, sagt sie. „Das war am Anfang noch einfach, hat sich aber ständig weiterentwickelt.

“Wir haben gute Argumente für Dresden. Die Stadt ist ein wichtiger Standort für Forschung und Entwicklung. Hier gibt es tolle Netzwerke und Leute, mit denen wir zusammen arbeiten, von denen wir profitieren.

Maria Piechnick

2016 stellten Wandelbots das Projekt zum ersten Mal auf der Hannover Messe vor. Seither ist das Interesse enorm. Investoren suchen Kontakt zu ihnen, Unternehmen aus der Technik- und Automobilbranche bieten Aufträge an. Mit dem Volkswagen-Konzern und dem Kommunikationsanbieter Ericsson arbeiten sie schon zusammen, außerdem mit einem großen chinesischen Haushaltsgeräteproduzenten. Die Forscher, die eigentlich ihre Promotionen weiterschreiben wollten, entschieden sich, diese auf Eis zu legen. „Es war einfach der perfekte Zeitpunkt, ein Unternehmen zu gründen“, erzählt Maria Piechnick. Das war Ende 2017. Heute haben sie 16 Mitarbeiter. Bewerber melden sich aus Russland, China, der Schweiz. „Das sind Leute, die überall arbeiten könnten, aber sie interessieren sich für uns“, sagt Christan Piechnick stolz. „Das ist schon ein tolles Gefühl.“

Wandelbots und Dresden gehören zusammen

Bei der Unternehmensgründung haben die Forscher ein Manifest aufgesetzt. Ein Punkt darin, zu dem sich alle Gründer verpflichten: Dresden bleibt ihr Hauptquartier. Ihr größter Investor Atlantic Labs hätte nichts dagegen gehabt, wenn sie nach Berlin umgezogen wären, erzählen sie. „Aber wir haben gute Argumente für Dresden“, sagt Maria Piechnick. „Die Stadt ist ein wichtiger Standort für Forschung und Entwicklung. Hier gibt es tolle Netzwerke und Leute, mit denen wir zusammen arbeiten, von denen wir profitieren.“

Die Forscher können auf ein breites Wissenschaftsnetzwerk zugreifen. Es gibt spezialisierte Hochschulinstitute und angegliederte Forschungslabore. Außerdem ist Dresden einer der größten Mikroelektronikstandorte Europas. Für eine Kooperation mit der Dresdner Hochschule für Technik und Wirtschaft (HTW) bekam Wandelbots 90.000 Euro aus einem neuen Innovationsfonds, mit dem die Landeshauptstadt Zukunftstechnologien fördert. Unterstützung kommt auch von der Sächsischen Staatskanzlei und regionalen Wirtschaftscommunitys wie den Business Angels.

Gut vernetzt: Frank Fitzek, Experte für Kommunikationstechnologien, ist einer der Gründer von Wandelbots. © Amac Garbe

Frank Fitzek, Professor am Institut für Nachrichtentechnik der TU Dresden, begleitet die Gründer von Wandelbots auf ihrem Weg. Fitzek ist unter anderem Sprecher des Exzellenzclusters „Zentrum für taktiles Internet mit Mensch-Maschine-Interaktion“ (CeTI) der TU. Das CeTI, seit Herbst des vergangenen Jahres eines von drei Exzellenzclustern der TU, sucht nach Wegen, um die Kooperation zwischen Mensch und Maschine voranzutreiben. Dafür arbeiten Wissenschaftler aus den Fachgebieten Elektro- und Kommunikationstechnik, Informatik, Psychologie, Neurowissenschaften und Medizin mit Forschern der TU München, des Deutschen Zentrums für Luft- und Raumfahrt und der Fraunhofer-Gesellschaft sowie internationalen Wissenschaftseinrichtungen zusammen. Bei Wandelbots wirkt Fitzek im Hintergrund als Mentor und Netzwerker.

Was braucht man, um Erfolg mit so einer Entwicklung zu haben? Geld – und gute Leute.

Frank Fitzek

Das Potenzial der intelligenten Kleidung hat er früh erkannt. „Gute Ideen sind immer simpel“, sagt Frank Fitzek. „Die meisten Leute haben auf Kameras gesetzt, auf optische Systeme. Doch die sind fehleranfällig.“ Die Entwicklung aus Dresden sei anders, unkomplizierter, deshalb schlug sie ein. Außerdem könne sie in vielen Bereichen der Wirtschaft direkt eingesetzt werden. Das sei der strategische Vorteil der Wandelbots im Forschungsfeld „Künstliche Intelligenz“, in dem viele internationale Wissenschaftler und Technikstandorte konkurrieren.

Im Dunstkreis der Talente

„Ihre Entwicklung hat einen Rieseneinfluss auf den Zeit- und Kostenfaktor. Außerdem können Unternehmer einem Roboter auch für kleine Stückzahlen etwas beibringen. Es richtet sich nicht nur an riesige Produktionsstrecken, sondern eben auch an Mittelständler.“ Frank Fitzek ist global vernetzt und dennoch vom Standort Dresden überzeugt, zumindest für die nahe Zukunft des Start-ups. „Was braucht man, um Erfolg mit so einer Entwicklung zu haben? Geld – und gute Leute. Und die kriegen wir hier in Dresden schneller und einfacher als anderswo, weil Talente direkt in unserem Dunstkreis sind.“

Mit den Gründern hält Frank Fitzek ständig Kontakt, berät sie bei Entscheidungen, begleitet sie bei Terminen. Der Kalender des Wandelbot-Teams ist gerade übervoll. Wo sie in ein, zwei Jahren stehen werden, wissen sie nicht. „Vor einem Jahr saßen wir zusammen und haben über den Namen unserer Firma nachgedacht“, sagt Maria Piechnick. „Damals konnten wir schließlich auch noch nicht absehen, was sich aus unserer Idee entwickeln wird.“

Ob sie die Promotion irgendwann noch abschließen? Die Gründer zucken mit den Schultern. Mal sehen, ob genügend Zeit bleibt in den nächsten Jahren. Im Moment sieht es nicht danach aus.

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