TU Dresden

Wo Wissenschaftler sich wohlfühlen

Susanne Narciss, Shu-Chen Li, Federico Calegari, Antonio Hurtado, Gianaurelio Cuniberti
Anne Schönharting / Ostkreuz

Dresden hat eine außergewöhnlich hohe Forschungsdichte, was die Zahl der Wissenschaftler und der Forschungseinrichtungen angeht. Hinter Berlin, München, Hamburg und Köln liegt die Elbmetropole auf Platz 5. Spitzenforscher aus vielen Ländern arbeiten an der TU Dresden und bringen die Welt weiter voran. Von Stefanie Maeck

Fünf Forscher, fünf Fachgebiete, fünf Leidenschaften

Gianaurelio Cuniberti Materialwissenschaftler, Bereich Nanotechnik
Gianaurelio Cuniberti Materialwissenschaftler, Bereich Nanotechnik © Anne Schönharting / Ostkreuz

Gianaurelio Cuniberti – winzige Teile & ganz große Oper

„Stay hungry, stay foolish“ lautet das Motto von Gianaurelio Cuniberti, Professor für Materialwissenschaft und Nanotechnik an der Fakultät für Maschinenwesen. Seine Welt sind die Nanotechnologie und Nanoelektronik. Im Bereich Bio-Nano-Sensorik erforscht sein Labor Nanodrähte, die extrem genaues Messen ermöglichen: Bio-Sensoren sollen als präzise Messfühler die Medizin der Zukunft voranbringen. Sie könnten als Detektoren der Gewässersicherheit Bakterien aufspüren oder als Nanosensor sogar Lebensmittelskandale aufdecken. Doch Cuniberti ist auch Ästhet: „Parfümeure wie Lancôme oder Winzer sind an hochpräzisen Nasen interessiert und legen immense Summen hin.“ Vielleicht ist es die Abstammung aus einer (wenn auch verarmten) italienischen Adelsfamilie, jedenfalls schätzt der Physiker prinzipiell das „Schöne, Gute und Wahre“. In seinem Büro lehnt der heilige Georg mit Drachen als barockes Fresko, und für die Semperoper hat er eine Flatrate, um mindestens einmal in der Woche den erhabenen Klängen zu lauschen. Ein anderer Grund zum Wohlfühlen: Zum Fraunhofer-Institut und dem Max-Planck-Institut kann er radeln: „Ich liebe den City-Campus.“ Als seine italienische Oma neulich beim Dresden-Bummel in eine Demo der Pegidisten geriet, beruhigte er sie: „Das ist nur ein winziger Anteil in dieser tollen offenen Stadt.“

Antonio Hurtado Wasserstoff- und Kernenergietechniker
Antonio Hurtado Wasserstoff- und Kernenergietechniker © Anne Schönharting / Ostkreuz

Antonio Hurtado – Paella, Wein & Debatten

Am liebsten würde Antonio Hurtado alle Wissenschaftler um eine selbstgekochte Pfanne Paella mit schwarzem Reis versammeln, „zum Diskutieren beim Wein“. Der Spanier, Gastarbeiterkind mit abgebrochener Hauptschule, fand mit 16 Jahren einen Mentor, der seinen Vater überredete, ihn lernen zu lassen. Heute ist er Professor für Wasserstoff- und Kernenergietechnik am Institut für Energietechnik der TU Dresden. Steht die Kernenergie seit der Energiewende im Verdacht, rückständig zu sein, so glaubt Hurtado an den Energie-Mix, um wettbewerbsfähig zu bleiben: Er erforscht modulare Reaktortypen der vierten Generation, die so sicher seien, dass keine Kernschmelze möglich ist – weil sie auf einem ganz anderen Temperaturniveau laufen. Nach Dresden kam er, „weil die Forschungssituation im Freistaat hervorragend ist“. Privat hat er sich den portugiesischen Jakobsweg vorgenommen, vorbei an berühmten Weinanbaugebieten. Eine Flasche für seine Paella-Pfanne wird er mitbringen: Wein, Wissenschaft und sichere Reaktortypen sind Hurtados Lebenselixir.

Federico Calegari Vorstand des Zentrums für Regenerative Therapien
Federico Calegari Vorstand des Zentrums für Regenerative Therapien © Anne Schönharting / Ostkreuz

Federico Calegari – Kleine Schiffe & große Gehirne

Federico Calegari, Gruppenleiter am Zentrum für regenerative Therapien, einem Exzellenzcluster der Deutschen Forschungsgemeinschaft, erforscht in Dresden die Zukunft der Biomedizin: Neuronale Stammzellen des Gehirns sind das Spezialgebiet des Italieners. Seinem Team am Center for ­Regenerative Therapies (CRTD) ist es gelungen, körpereigene Stammzellen im Gehirn zur Vermehrung anzuregen. So könnte die Biomedizin auf lange Sicht revolutioniert werden: Alzheimer, Depression oder Schlaganfall behandelt, kognitive Lernprozesse positiv beeinflusst werden. In Dresden profitiert er vom interdisziplinären Campus, dem größten Europas: „Es ist eine Art internationaler Bio-Hub entstanden.“ Stammzellenspezialisten für Knochen und Blut arbeiten hier – der Austausch läuft bei einem Bier. Den Ausgleich bildet ein sehr spezielles Hobby: Der Biomediziner baut historische Schiffe im Kleinformat nach, gerade hat er eines aus dem 15. Jahrhundert auf seiner Werkbank.

Susanne Narciss Psychologin, Gebiet des Lehrens und Lernens
Susanne Narciss Psychologin, Gebiet des Lehrens und Lernens © Anne Schönharting / Ostkreuz

Susanne Narciss, Zweite Geige & Premium-Lernen

Sie baute 1994 als Postdoc das multimediale Lernlabor mit auf. Heute ist Susanne Narciss nach Karriere-Stationen im Ausland als Professorin zurück und erforscht auf der Professur Psychologie des Lehrens und Lernens, was einen „Smart Learner“ im digitalen Zeitalter ausmacht. Ihr Team untersucht, wie selbstregulierter Kompetenzerwerb im digitalen Zeitalter funktioniert und welche Bedeutung Feedback hat. Das geht nur interdisziplinär: Einer ihrer Postdocs hat gerade mit Informatikern untersucht, wie Studenten via Smartphone in eine Vorlesung eingreifen und deren Verlauf mitgestalten könnten. Ein innovatives Forschungsprojekt zur Industrie 4.0 erkundet die Interaktion von Mensch und Technik, mit Narciss als Spezialistin eines kybernetischen Feedback-Begriffs. Narciss, die die zweite Geige in einem Professoren-Quartett spielt, hat neulich mit Ehrfurcht „La Traviata“ in der Dresdner Semperoper gelauscht: „Das war unbeschreiblich!“ Und sonst? „Wandern im Elbsandstein-Gebirge ist ein Ereignis! Ein Geschenk, diese Natur vor der Tür zu haben!“

Shu-Chen Li Entwicklungspsychologin und Neurowissenschaftlerin
Shu-Chen Li Entwicklungspsychologin und Neurowissenschaftlerin © Anne Schönharting / Ostkreuz

Shu-Chen Li – Abstraktion & Aquarelle

In der Forschung von Shu-Chen Li aus Taiwan kommt es auf analytisches Denken an. In ihrem Labor allerdings hängen einige selbstgemalte Aquarelle: „Ein guter Gegenpol zum abstrakten Denken“, findet Li. Seit 2012 leitet sie den Lehrstuhl Entwicklungspsychologie und Neurowissenschaft der Lebensspanne. Von der pränatalen Phase bis ins hohe Alter wird hier die kognitive und neurokognitive Entwicklung des Menschen erforscht. Ein Projekt beschäftigt sich mit den Langzeitwirkungen der pränatalen Gabe von Steroidhormonen auf die spätere Stressverarbeitung von Jugendlichen. Ein anderes untersucht den Einfluss von Dopamin auf die räumliche Orientierung von Menschen, besonders bei Parkinson-Patienten. „Mittlerweile studieren einige der besten Studenten in Dresden“, so Li. Bei ihrer Arbeit profitiert die Wissenschaftlerin (die täglich um 5 Uhr 30 mit dem Forschen beginnt!) von interessanten Schnittstellen wie der zu den Neurowissenschaften der TU Dresden. Li entspannt beim Joggen, Klavierspielen oder wenn sie den Klängen Johann Sebastian Bachs lauscht: „Das könnte ich den ganzen Tag hören.“

Exzellenz-Uni: Die Technische Universität Dresden gehört seit 2012 zum Kreis der elf deutschen Exzellenz-Universitäten. Zu den sogenannten Exzellenzclustern zählen das Center for Advancing Electronics (cfaed) und das Center for Regenerative Therapies (CRTD) an der TU Dresden.

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