Dresden ist sehr schön, sehr selbstbewusst – und sehr selbstbezogen. Frank Richter hat es versucht: Das Gespräch mit Pegida. Es hat nicht funktioniert. Eine Suche nach Gründen, warum die Stadt manchmal seltsam tickt. Ein Interview von Oliver Reinhard
Von Oliver Reinhard
Wie setzt sich Ihr Dresdner Tal-Gefühl zusammen? Frank Richter: Aus Verwurzelung, Schönheit, Liebe und Beheimatung, aber auch aus Enge. Und in dieser Enge liegt immer auch Anstrengung. Wie jedes unserer Gefühle speist sich mein Dresden-Gefühl aus Erfahrungen: Die waren nicht nur 1989 mit viel Mühe und Konfrontationen verbunden; sie sind es bis heute. Statt Doppelpunkten und Fragezeichen werden in Dresden viele Punkte und Ausrufungszeichen gesetzt.
Dresden betont seine Weltoffenheit. Ist das eher Behauptung als Realität? Dresden hat in seiner Geschichte sehr viele Einflüsse aus aller Herren Länder an- und in sich aufgenommen, nicht nur italienische. Man könnte auch sagen: Die Stadt hat diese Einflüsse vereinnahmt. Das hat sie im Laufe der Jahrhunderte zu einem sehr stolzen Ort gemacht. Ich fühle natürlich auch ihr Licht, ihre Helligkeit, ihre Bedeutung. Dresden ist sehr selbstbewusst. Und sehr selbstbezogen.
Die Fragilität dieses Selbstbewusstseins ist vielen Menschen, auch vielen Einwohnern, ein Rätsel. Dresden findet sich ganz großartig, wird darin auch oft – oft zu Recht – von außen bestätigt. Doch auf Kritik reagiert man als Dresdner schnell beleidigt, fühlt sich gering geschätzt und bevormundet. Das ist die Kehrseite der Dresdner Prominenz. Die Stadt ist berühmt und weiß das auch. Ihren Glanz lässt sie gern vom Scheinwerferlicht zum Leuchten bringen. Aber: So viel Helligkeit kann niemand auf Dauer aushalten. Also werden immer wieder die Schatten gesucht, auch von den Dresdnern selbst –und natürlich gefunden. Diese Ambivalenz muss man aushalten. Aber: Je stolzer man wird und je mehr das Selbstbewusstsein am Stolz hängt, desto schwerer fällt das und desto schneller empfinden wir Kritik als Beleidigung.
Das klingt einigermaßen narzisstisch? Ist es auch. Wie Narziss am See, so liegt Dresden an der Elbe, spiegelt sich selbstverliebt darin und wird todunglücklich, wenn Wellen kommen und das Spiegelbild verwischen. Die Angst vor Kränkung und Beleidigung ist untergründig immer fühlbar.
Nun hat Sachsens Hauptstadt in den letzten 200 Jahren ja auch viele Verluste einstecken müssen. In der Schlacht 1813 und im Preußisch-Österreichischen Krieg 1866 stand sie auf der falschen Seite, 1918 war Schluss mit dem sächsischen Königreich, 1933 avancierte sie zur braunen Musterstadt, 1945 verlor sie ihr Antlitz, sank dann gegenüber Ost-Berlin in den Rang einer Provinzstadt herab, wurde in der DDR belächelt als Tal der Ahnungslosen … … vieles davon ist auch anderen Städten so oder so ähnlich widerfahren. Dennoch reagiert man dort auf Kritik nicht mit dieser Dresdner Empfindlichkeit und oberlehrerhaften Herablassung.
Dresden ist die einzige Großstadt im Osten mit politisch konservativer Prägung.
Frank Richter
Warum tritt die im ganzen Land schwelende Politikverdrossenheit, Zukunftsangst und Fremdenfeindlichkeit ausgerechnet in Dresden so offen zutage? Was sich hier an Unzufriedenheit zeigt, ist nicht allein Dresden-gemacht. Es kommt zum erheblichen Teil aus dem großen Umfeld der Stadt in sie hinein und sucht sich in ihr eine Bühne. Und Dresden wehrt sich nicht genug gegen diese Unzufriedenheit. Die Stadt trägt sie zum Teil sogar mit und verstärkt sie. Ganz in ihrer Tradition der selbstdarstellenden Inszenierung. Dresden ist die einzige Großstadt im Osten mit politisch konservativer Prägung. Hier kann man mit geringerem Widerstand gegen Pegida rechnen als in einer linksgeprägten Stadt wie beispielsweise Leipzig. Dresden ist irgendwie Residenz geblieben.
Könnte die Stadt nicht aus dem Schatten ein Licht tragen und vom Ort des Streits zu einem des Dialogs werden? Auch Sie haben schließlich auf Gespräche gesetzt, wo andere Abgrenzung betrieben. Diese Dialoge bestanden leider oft nur aus einer Abfolge von Monologen. Viele Redner wollten keine Argumente austauschen, sie wollten sich von ihresgleichen feiern lassen. Jenseits dieser Selbstdarstellungen gab es aber auch den offenen Austausch und Diskurs. Da haben sich dann doch die Dinge gezeigt, die so wichtig sind für eine offene Gesellschaft, nämlich Empathie und Perspektivwechsel. „Der Dresdner“ beherrscht den Diskurs nämlich sehr wohl, auch den offenen Blick über den Teller- und Talrand hinaus.
Welches Dresdner Selbstbild nervt Sie am meisten? Dass Dresden der schönste, intelligenteste und wertvollste Flecken auf Erden ist.
Und welches Vorurteil über Dresden regt Sie auf? Dass die Stadt nicht nur narzisstisch, sondern auch nazistisch ist.
Frank Richter
geboren 1960 in Meißen, studierte Theologie, 1987 zum Priester geweiht. 1989 gehörte er zur „Gruppe der 20“, einer Dresdner Bürgerbewegung, die während der Oktoberdemonstrationen einen Forderungskatalog nach mehr Freiheit stellte. Als Direktor der Sächsischen Landeszentrale für politische Bildung suchte Richter 2015 das Gespräch mit Pegida-Mitstreitern. In diesem Jahr tritt er sein neues Amt als Geschäftsführer der Stiftung Frauenkirche Dresden an.
Barocke Gemütlichkeit und überschwängliche Lebensfreude, krasse Gegensätze und unübersehbare Tradition: „Liebes Dresden“ bringt die Einzigartigkeit der Stadt auf den Punkt,…
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Von Oliver Reinhard
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Frank Richter: Aus Verwurzelung, Schönheit, Liebe und Beheimatung, aber auch aus Enge. Und in dieser Enge liegt immer auch Anstrengung. Wie jedes unserer Gefühle speist sich mein Dresden-Gefühl aus Erfahrungen: Die waren nicht nur 1989 mit viel Mühe und Konfrontationen verbunden; sie sind es bis heute. Statt Doppelpunkten und Fragezeichen werden in Dresden viele Punkte und Ausrufungszeichen gesetzt.
Dresden betont seine Weltoffenheit. Ist das eher Behauptung als Realität?
Dresden hat in seiner Geschichte sehr viele Einflüsse aus aller Herren Länder an- und in sich aufgenommen, nicht nur italienische. Man könnte auch sagen: Die Stadt hat diese Einflüsse vereinnahmt. Das hat sie im Laufe der Jahrhunderte zu einem sehr stolzen Ort gemacht. Ich fühle natürlich auch ihr Licht, ihre Helligkeit, ihre Bedeutung. Dresden ist sehr selbstbewusst. Und sehr selbstbezogen.
Die Fragilität dieses Selbstbewusstseins ist vielen Menschen, auch vielen Einwohnern, ein Rätsel. Dresden findet sich ganz großartig, wird darin auch oft – oft zu Recht – von außen bestätigt. Doch auf Kritik reagiert man als Dresdner schnell beleidigt, fühlt sich gering geschätzt und bevormundet.
Das ist die Kehrseite der Dresdner Prominenz. Die Stadt ist berühmt und weiß das auch. Ihren Glanz lässt sie gern vom Scheinwerferlicht zum Leuchten bringen. Aber: So viel Helligkeit kann niemand auf Dauer aushalten. Also werden immer wieder die Schatten gesucht, auch von den Dresdnern selbst –und natürlich gefunden. Diese Ambivalenz muss man aushalten. Aber: Je stolzer man wird und je mehr das Selbstbewusstsein am Stolz hängt, desto schwerer fällt das und desto schneller empfinden wir Kritik als Beleidigung.
Das klingt einigermaßen narzisstisch?
Ist es auch. Wie Narziss am See, so liegt Dresden an der Elbe, spiegelt sich selbstverliebt darin und wird todunglücklich, wenn Wellen kommen und das Spiegelbild verwischen. Die Angst vor Kränkung und Beleidigung ist untergründig immer fühlbar.
Nun hat Sachsens Hauptstadt in den letzten 200 Jahren ja auch viele Verluste einstecken müssen. In der Schlacht 1813 und im Preußisch-Österreichischen Krieg 1866 stand sie auf der falschen Seite, 1918 war Schluss mit dem sächsischen Königreich, 1933 avancierte sie zur braunen Musterstadt, 1945 verlor sie ihr Antlitz, sank dann gegenüber Ost-Berlin in den Rang einer Provinzstadt herab, wurde in der DDR belächelt als Tal der Ahnungslosen …
… vieles davon ist auch anderen Städten so oder so ähnlich widerfahren. Dennoch reagiert man dort auf Kritik nicht mit dieser Dresdner Empfindlichkeit und oberlehrerhaften Herablassung.
Warum tritt die im ganzen Land schwelende Politikverdrossenheit, Zukunftsangst und Fremdenfeindlichkeit ausgerechnet in Dresden so offen zutage?
Was sich hier an Unzufriedenheit zeigt, ist nicht allein Dresden-gemacht. Es kommt zum erheblichen Teil aus dem großen Umfeld der Stadt in sie hinein und sucht sich in ihr eine Bühne. Und Dresden wehrt sich nicht genug gegen diese Unzufriedenheit. Die Stadt trägt sie zum Teil sogar mit und verstärkt sie. Ganz in ihrer Tradition der selbstdarstellenden Inszenierung. Dresden ist die einzige Großstadt im Osten mit politisch konservativer Prägung. Hier kann man mit geringerem Widerstand gegen Pegida rechnen als in einer linksgeprägten Stadt wie beispielsweise Leipzig. Dresden ist irgendwie Residenz geblieben.
Könnte die Stadt nicht aus dem Schatten ein Licht tragen und vom Ort des Streits zu einem des Dialogs werden? Auch Sie haben schließlich auf Gespräche gesetzt, wo andere Abgrenzung betrieben.
Diese Dialoge bestanden leider oft nur aus einer Abfolge von Monologen. Viele Redner wollten keine Argumente austauschen, sie wollten sich von ihresgleichen feiern lassen. Jenseits dieser Selbstdarstellungen gab es aber auch den offenen Austausch und Diskurs. Da haben sich dann doch die Dinge gezeigt, die so wichtig sind für eine offene Gesellschaft, nämlich Empathie und Perspektivwechsel. „Der Dresdner“ beherrscht den Diskurs nämlich sehr wohl, auch den offenen Blick über den Teller- und Talrand hinaus.
Welches Dresdner Selbstbild nervt Sie am meisten?
Dass Dresden der schönste, intelligenteste und wertvollste Flecken auf Erden ist.
Und welches Vorurteil über Dresden regt Sie auf?
Dass die Stadt nicht nur narzisstisch, sondern auch nazistisch ist.
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geboren 1960 in Meißen, studierte Theologie, 1987 zum Priester geweiht. 1989 gehörte er zur „Gruppe der 20“, einer Dresdner Bürgerbewegung, die während der Oktoberdemonstrationen einen Forderungskatalog nach mehr Freiheit stellte. Als Direktor der Sächsischen Landeszentrale für politische Bildung suchte Richter 2015 das Gespräch mit Pegida-Mitstreitern. In diesem Jahr tritt er sein neues Amt als Geschäftsführer der Stiftung Frauenkirche Dresden an.
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