Zwei Länder – noch mehr Geschichten: Design-Ausstellung in Dresden – nur noch bis 6. März

Deutsches Design 1949-1989: Ein Treffen auf Augenhöhe

Schaukelwagen, Hans Brockhage, Erwin Andrä, 1950, Hochschule für Bildende Künste Dresden, Siegfried Lenz Foto: Vitra Design Museum, Andreas Sütterlin

Die Gesamtschau der Designgeschichte beider deutscher Staaten von der Nachkriegszeit bis zur Wiedervereinigung in der Kunsthalle im Lipsiusbau ist ein Kaleidoskop politischer und gestalterischer Bezüge, die vor allem eines zeigen: Es lohnt sich, die Vielstimmigkeit des kulturellen Erbes von DDR und BRD nicht gegeneinander, sondern miteinander zu denken.

Die Ausstellung „Deutsches Design 1949 – 1989: Zwei Länder, eine Geschichte“ in der Kunsthalle im Lipiusbau ist eine Reise in 40 Jahre deutsch-deutsche Zeitgeschichte, die das Kunstgewerbemuseum der Staatlichen Kunstsammlungen Dresden (SKD) in Kooperation mit dem Vitra Design Museum zeigt. Dreißig Jahre nach dem Fall der Mauer stehen sich erstmals in diesem Umfang die Designgeschichten von Ost und West gegenüber, allerdings: Die wesentliche Kraft der Ausstellung entfaltet sich nicht durch den bloßen Vergleich, sondern schafft es, immer wieder neue Bezüge zu erschließen und Wechselwirkungen zwischen den rund 390 Exponaten zu entdecken.

„Deutsches Design“ – kein Wettbewerb zwischen Ost und West

Es geht hier nicht um einen Wettbewerb, darauf haben die Kuratorinnen Klara Nemeckova und Erika Pinner penibel geachtet. Und es wäre angesichts der ambitionierten Aufgabe, Design in Ost und West in Zusammenhang zu bringen, auch überhaupt nicht zielführend. Denn: Designgeschichte ist immer auch Alltagsgeschichte. Die Objekte, die aus den Skizzenbüchern der Kreativen in unseren Alltag hineindiffundieren, prägen einerseits unser Leben, sind andererseits immer auch Ausdruck der Zeit, in der sie entstanden sind.

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Kapitalismus vs. Klassenkampf: Ludwig Erhard trifft auf Hans Lauter

Dass die Uhren zwischen Ost und West politisch und gestalterisch anders tickten (ticken mussten), wird schon im ersten Raum der Ausstellung klar. Hier trifft Ludwig Erhards Wirtschaftswunderevergreen „Wohlstand für alle“ (1957) auf Hans Lauters „Der Kampf gegen den Formalismus in der Kunst und Literatur für eine fortschrittliche deutsche Kultur“ (1951). Beide Texte sind Ausdruck nicht nur ihrer Zeit, sondern auch der politischen Systeme in denen sie verfasst worden sind. Und der Unterschied konnte nicht größer sein – das hatte auch Einfluss auf die Arbeit der Gestalter in beiden Ländern.

Design im Westen: Braun, Lufthansa und die HfG Ulm

Im Westen – etwa an der Hochschule für Gestaltung Ulm (HfG) kultivierten die Mitarbeiter von 1953 bis 1968 einen rational, methodisch, systemorientierten umweltbezogenen und pragmatischen Ansatz – und die permanente Verzahnung von Schule und Praxis. Gestalter wie Hans Gugelot und Dieter Rams prägten mit ihren Entwürfen das legendäre Produktprogramm der Firma Braun, Otl Aicher, ebenfalls Dozent in Ulm, überarbeitete das Design der Deutschen Lufthansa, bevor er 1972 mit seinen Piktogrammen der Olympischen Sommerspiele in München Kultstatus erlangte.

Design im Osten: Aufbruch in Dresden-Hellerau

Die DDR indes leistete sich in den 1950ern eine staatlich initiierte Kulturdebatte (Formalismusdebatte), um sich von der vermeintlichen Dekadenz der westlichen Gestaltung abzugrenzen. Doch die Kampagne zur Durchsetzung ihrer diktatorischen Doktrin und der Wunsch der SED, Einfluss auf die die formale Gestaltung von Produkten, Literatur, Gemälden und Skulpturen zu nehmen, wurde nicht überall mit der Akribie umgesetzt, die sich die Parteibonzen gewünscht hatten – zum Beispiel in Dresden Hellerau.

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Klassiker des DDR-Designs

Dort, im VEB Deutsche Werkstätten Hellerau setzte sich seit den 1950ern allen Widerständen seitens der SED zum Trotz eine sachlich-funktionale Gestaltung durch. Der berühmte Anbaumöbel-Typensatz 602 von Fritz Ehrlich aus dem Jahr 1956 entwickelte sich zum Exportschlager, 1960 wurde die Serie auf der internationalen Möbelmesse Köln mit großem Erfolg vorgestellt.

Ein Möbelwand als DDR-Exportschlager

Aus Dresden Hellerau stammt auch eines der erfolgreichsten Möbelprogramme, die je produziert wurden: Mit der Montagewand Deutsche Werkstätten (MDW) schuf Rudolf Horn, einer der wichtigsten Designer der DDR, ein Wandsystem, das auf Normteilen basiert, die an einem Rasterprinzip ausgerichtet sind. Die 1967 vorgestellte MDW-Wand setzte sogleich Maßstäbe in der Produktionseffizienz. Die individuelle Möglichkeit zur Kombination sorgte dafür, dass das System, das eigentlich für das Leben in der DDR-Platte konzipiert wurde, bis 1991 in Produktion blieb.

Ost- und Westverwandschaften: MDW und 606

Sein westdeutsches Pendant findet Horns Entwurf in der Ausstellung im Regalsystem 606 (1960) von Dieter Rams, das bis heute von der Firma Vitsoe produziert wird und das in Sichtweite zum MDW aufgebaut ist. Es sind solche Bezüge, die im Lipsiusbau immer wieder hervortreten und die man entdecken kann, auch ohne Designexperte zu sein.

Das Senftenberger Ei: Ein Gartenmöbel macht Karriere beim Film

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Das „Senftenberger Ei“: Peter Ghyczy lies sich bei seinem berühmten Gartensessel von der Raumfahrt inspirieren. Foto: SKD

Und dann gibt es natürlich noch all die kleinen Anekdoten, die zeigen, dass die deutsch-deutsche Designtradition immer wieder auch ganz bewusst grenzüberschreitend gepflegt wurde. Zum Beispiel beim „Senftenberger Ei“ von 1967/68: Der von der Raumfahrt inspirierte Gartensessel wurde 1967 von Peter Ghyczy, Chef der Desingabteilung für Produkte aus Polyurethan bei Elastogran in Lemförde, Niedersachsen entwickelt. Aufgrund der aufwendigen Lackierung, war eine Produktion im Westen nicht rentabel, die DDR hingegen war besonders an innovativen Herstellungstechniken damaliger Kunststoffe interessiert. Die verkaufte Elastogran-Chef Gottfried Reuter 1970 in die DDR, sodass das „Gartenei“ noch im selben Jahr im VEB Synthesewerk Schwartzheide in der Nähe von Senftenberg in Serienproduktion ging. Teil des Deals waren 15.000 Exemplare, für die BRD. Weltberühmt wurde der Entwurf durch den Kinofilm „A Clockwork Orange“ des amerikanischen Regisseurs Stanley Kubrick. Der nutzte gleich mehrere Garteneier, um seine aufwendigen Filmwelten im Stil des Space Ages auszustaffieren.

Es wächst zusammen, was zusammen gehört

Am Ende geht es in der Ausstellung auch darum, den Blick aufzufächern und zu zeigen, was in den beiden deutschen Staaten trotz aller politischen Unterschiede möglich war. Es geht nicht darum, Unterschiede zu nivellieren, sondern der Vielfalt gestalterischen Ideen dies- und jenseits der Mauer den Raum zu geben, der in den vergangenen Jahren vielleicht ein wenig zu kurz kam.

Wer ein bisschen Zeit in der Ausstellung verbringt, merkt vielleicht auch, wie unzutreffend der Begriff der „Ostalgie“ mittlerweile verwendet wird. Denn zumindest in der Welt der Produkte ging es zu DDR-Zeiten nie um falsch verstandenen Kitsch und nett anzusehenden Nippes, sondern um die Gestaltung von Alltagsobjekten, die das Leben der Menschen erleichtern. Und dieser Anspruch, das lernt man im Lipsiusbau, ist weder DDR- noch BRD-typisch. Er ist universell.

„Deutsches Design 1949 – 1989: Zwei Länder, eine Geschichte“ Kunsthalle im Lipsiusbau

Die Ausstellung „Deutsches Design 1949 -1989“ läuft noch bis zum 6. März 2022 in der Kunsthalle im Lipsiusbau in Dresden.
Öffnungszeiten: täglich 10 – 17 Uhr, Montag geschlossen.
Eintrittspreise: regulär 8 Euro, ermäßigt 6 Euro, unter 17 frei, Gruppen ab 10 Personen 7 Euro


Designklassiker-Empfehlungen: Zwei Mitbringsel aus Dresden

Wer in Dresden ist und die Gelegenheit hat, nach der Reise durch die Designgeschichte noch einen Bummel über einen Flohmarkt zu machen, dem seien an dieser Stelle noch zwei Mitbringsel empfohlen:

  1. Mit der Spektrum-Taschenbuchreihe (1968 bis 1993) des Berliner Verlags „Volk und Welt“ erkundeten die Verleger, was seinerzeit im Osten publizierbar war. Das ikonische schwarze Design der Taschenbücher mit ihren kontrastreichen Schwarzweiß-Fotografien ist ein Klassiker ostdeutscher Buchgestaltung. Besonders schick sieht es aus, wenn man mehrere Exemplare nebeneinanderstellt.
  • Wirtegläser der Marke „Superfest/Ceverit“: Die Designerin und Keramikerin Margarete Jahny entwarf die stapelbaren Gläser in verschiedenen Größen zu Beginn der 1970er Jahre. Der Clou: Ein besonderes Herstellungsverfahren, entwickelt vom Zentralinstitut für organische Chemie, Abteilung Glasstrukturforschung, sorgte dafür, dass die Spannung der Glasoberfläche deutlich erhöht wurde. Mit dem Resultat, dass die Gläser ca. 15 Mal länger halten als herkömmliche Gläser. Bis zum Produktionsende am 1. Juli 1990 wurden zwischen 110 und 120 Millionen Superfest-Trinkgläser gefertigt. Hauptabnehmer war die DDR-Gastronomie. Im Westen wollte man von den Supergläsern nichts wissen. Die Kalkulation: Gläser die ständig zerbrechen, werden häufiger nachgekauft.

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