Warum Dresden ein Mekka für Streetart-Künstler und -Fans ist

Interview mit Streetart-Größe Jens Besser

Street Art Dresden
Streetart findet sich in Dresden insbesondere in den Stadtteilen Neustadt, Friedrichstadt und in der Leipziger Vorstadt. Foto: Sven Ellger

Ob meterhohe Murals oder kunstvolle Sticker: Wer die Augen offen hält, entdeckt urbane Kunst fast überall in Dresden. Streetartist Jens Besser weiß, warum Streetart hier so populär ist.

Jens Besser kennt die Welt länger mit als ohne Sprühdosennebel. Der Urban Artist und Aktivist kuratiert Ausstellungen, gibt Workshops und gestaltet weltweit Murals. Wir haben ihn zum Interview getroffen.

Jens Besser
Jens Besser, Urban Artist und Aktivist aus Dresden.

Herr Besser, Dresden gilt als Mekka für Graffiti-Fans, es gibt Stadtführungen zu dem Thema. Wie hat das angefangen?

Es gab schon vor der Wende Jugendliche, die in Dresden Wände bemalt haben, aber damals mit Stiften, an Sprühdosen kam man in der DDR nicht ran. Richtig los ging es dann in den 90er-Jahren. Das hatte natürlich auch etwas mit dem Leerstand zu tun. In Dresden gab es viele Brachen und verlassene Industriegebäude.

Streetart in Dresden findet man insbesondere in den Stadtteilen Neustadt, Friedrichstadt und der Leipziger Vorstadt. Eine Übersicht gibt diese Urban Art Map.

Sie selbst haben vor elf Jahren das Projekt „City Bilder – Kunst auf Brandwänden“ in Friedrichstadt mit Streetart-Künstlern aus aller Welt organisiert. Was hatte es damit auf sich?

Wir haben in Zusammenarbeit mit dem Riesa Efau Kultur Forum Dresden e. V. und dem Stadtplanungsamt Dresden in kürzester Zeit zehn riesige Giebelwände bemalt. Die größte Wand war über 100 Meter lang und sechs Meter hoch. Nahezu alle Wände wurden von jeweils zwei oder mehr internationalen Künstlern gestaltet. Seit diesem Projekt ist die Stadt offener für Murals und Kunst im ­öffentlichen Raum.

Streetart ist vergänglich und teilweise verboten. Was ist so faszinierend daran?

Streetart ist die demokratischste Kunstform, die es gibt. Sie ist für alle zugänglich und nicht kommerziell. Niemand kann sie exklusiv kaufen und in seine Wohnung hängen, jeder kann daran teilhaben. Für mich als Künstler bedeutet das zugleich, dass ich ein viel größeres Publikum erreichen kann als in Galerien – und ganz unmittelbar die Reaktionen erlebe.

Es kursieren verschiedene Begriffe: Graffiti, Streetart, Urban Art. Was sind die Unterschiede?

Graffiti entstand in den 80er-Jahren in New York, der Ausdruck Streetart wurde erst später geprägt. Aber beide Begriffe sind nicht endgültig geklärt. Sie umfassen große Wandbilder, verschlungene Buchstaben, aber auch Schablonengraffiti, aufgeklebte Sticker oder Poster, alles, was sich schnell auf Fassaden aufbringen lässt. Ihren Ursprung hat diese Kunstform in der Illegalität, in der Subkultur. Wenn Streetart-Künstler legal arbeiten, spricht man auch von Urban Art.

Haben Sie schon mal eine Anzeige bekommen?

Ich sage es mal so: Ich kenne keinen, der in dieser Szene unterwegs ist und noch nie Kontakt mit der Polizei hatte. Aber heute brauche ich weder den Kick des Verbotenen noch habe ich Lust darauf, vor der Polizei wegzurennen. Und es gibt inzwischen viele legale Flächen.

Streetart ist heute eine etablierte Kunstgattung, Künstler wie Banksy sind weltbekannt.

Ja, Streetart wird inzwischen von einem großen Teil der Gesellschaft im Stadtbild akzeptiert. Dazu haben auch die Urban-Art-Festivals beigetragen und natürlich die sozialen Netzwerke. Aber viele Künstler bewegen sich immer noch in einer Grauzone: Arbeiten sie legal und im Auftrag von jemanden, ist es anerkannte Urban Art. Sprühen sie ihre Bilder ohne Genehmigung, ist es Sachbeschädigung.

Barock und Streetart haben mehr gemeinsam als man denkt.

Jens Besser, Urban Artist und Aktivist aus Dresden

Inzwischen beauftragen sogar Kommunen Künstler mit der Gestaltung großer Flächen.

Und das finde ich gut. Murals können die Stadt bunter machen und verwahrloste Stadtteile aufwerten, ähnlich wie Kunst am Bau. Der Begriff „Mural“ geht auf den Muralismo zurück. So nennt sich eine Kunstform mit Wandbildern, oft mit sozialkritischen Inhalten, die in den 20er-Jahren in Mexiko entstand. Viele Streetart-Künstler sehen sich heute noch in dieser Tradition.

Wie lange dauert es eigentlich, bis so ein Mural fertiggestellt ist?

Je nachdem, wie groß die Wand ist, zum Teil mehrere Tage. Manche Künstler fertigen nur Skizzen an, übertragen diese auf die Wand und lassen andere sprühen. Ich arbeite anders, ich brauche die freie Bewegung an der Wand. Für mich ist Streetart eine Mischung aus kreativem Konzept, Organisation und körperlicher Arbeit.

Für uns illustrierte die Dresdner Streetart-Größe Jens Besser Teile unseres Dresden Magazins 2022

Ist Dresden denn ein guter Ort für Streetart?

Die Stadt hat durchaus Verständnis dafür, dass Kunst im öffentlichen Raum wichtig ist, und geht auch mit Genehmigungen zunehmend lockerer um. Das ist jedenfalls mein Eindruck. Sie fördert auch Urban-Art-Festivals wie LackStreicheKleber, die neue Projekte anstoßen. Manchmal bin ich selbst überrascht, wie viel möglich ist in einer Stadt, die ja eher mit der Barockzeit in Verbindung gebracht wird. Wobei: Vieles, was typisch für diese Epoche war – die dekorativen Ausschmückungen und Verzierungen –, findet man auch im Graffiti. Barock und Streetart haben mehr gemeinsam, als man denkt.

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