Revolutionär und richtungsweisend: 200 Jahre „Freischütz“

So feiert Dresden Carl Maria von Webers Jahrhundertwerk

Aufführung Der Freischütz Weber in der Semperoper Dresden
Zwar spielt Webers „Freischütz“ in der Zeit nach dem Dreißigjährigen Krieg, trotzdem traf er den Zeitgeist und thematisierte die deutsche Identität. Foto: Semperoper Dresden/Matthias Creutziger

Die Uraufführung von Carl Maria von Webers „Freischütz“ – gleichermaßen erste deutsche Nationaloper und erstes romantisches Musiktheater par excellence – feiert am 18. Juni 2021 ihr 200. Jubiläum. Die Semperoper und das Carl-Maria-von-Weber-Museum gedenken des Werks mit Sonderausstellungen und der Wiederaufnahme der Inszenierung von Axel Köhler.

Es war keine Liebe auf den ersten Blick. 1812 grantelte Carl Maria von Weber in seinem Tagebuch: „Nie habe ich einen Ort gefunden, wo wir von Seiten der Bewohner so miserabel aufgenommen worden sind.“ Rigoros fuhr er fort: „Dresden erwischt mich nicht wieder!“ Wenige Jahre später schien der Zorn des Künstlers verraucht zu sein. Als der sächsische Hofmarschall Heinrich Carl Graf Vitzthum von Eckstädt im Auftrag des Königs Friedrich August I. eine deutschsprachige Musiktheater-Abteilung aufbauen sollte, brachte sich Weber selbst ins Gespräch. 1817 trat er den Posten an. Aus Mangel an deutschsprachigem Repertoire kamen in der Regel deutsche Fassungen französischer Werke zur Aufführung. Dies sollte sich bald ändern …

Eine deutsche Oper, die mit den italienischen mithalten sollte

Carl Maria von Weber, Bildnis von Caroline Bardua, 1821

Weber schwebte eine eigene Oper vor, die qualitativ mit den Werken der italienischen Kollegen mithalten konnte. Nur wenig später gewann er den Rechtsanwalt, Autor und Journalisten Friedrich Kind als Librettisten seines „Freischützen“. Die Idee dazu lässt sich bis in das Jahr 1810 zurückverfolgen, als der Komponist auf das „Gespensterbuch“ von Friedrich Laun und Johann August Apel, einem Schulkameraden Friedrich Kinds, stieß. Weber war besonders von Apels Erzählung „Der Freischütz“ angetan. Sie spielt in den Wäldern unweit der böhmischen Stadt Taus. Der Protagonist ist für seine Treffsicherheit bekannt, war zuletzt jedoch beim Schießen wenig erfolgreich. Der Druck auf ihn wächst, als er bei einem Wettbewerb seinen zukünftigen Schwiegervater beeindrucken soll.

Hier feiert Dresden Webers „Der Freischütz“

Die geplanten Aufführungen in der Semperoper Dresden entfallen bis auf Weiteres aufgrund der Corona-Pandemie.

Die Natur in Dresden-Hosterwitz beflügelte das Schreiben an der Partitur. Ab 1817 verbrachte der Komponist hier die Sommer, um die Hofkonzerte für den König im nahe gelegenen Schloss Pillnitz zu leiten. „Carl Maria von Weber schätzte die ländliche Umgebung“, sagt Romy Donath, die seit 2020 das Weber-Museum im ehemaligen Wohnhaus des Künstlers leitet. Anhand der akribisch geführten Tagebucheinträge des Komponisten konnte die Bescheidenheit der vier Wände rekonstruiert werden. „Das Haus war sehr einfach eingerichtet. Sogar einen Ziegenstall soll es gegeben haben“, erklärt Donath. „Er hat hier Ruhe gefunden, Entspannung und Muse, um zu komponieren.“ Begleitend zur Dauerausstellung, die Webers Wirken illustriert, finden regelmäßig kammermusikalische Konzerte im Garten und Sonderausstellungen statt – von August bis Dezember etwa anlässlich des 200. Opern-Jubiläums.

„Der Freischütz“ wurde nicht zufällig im Juni 1821 uraufgeführt

Ganzjährig zu sehen ist hingegen der 2020 entstandene Scherenschnittfilm „Komponieren beim Spazieren“. Der 13-minütige Film des Dresdner Trickfilmers Klausjörg Herrmann erläutert kunstvoll Webers Jahre in Dresden und die Arbeit am „Freischütz“. Die Inspiration zum „Freischütz“ lässt sich in Hosterwitz aber auch zu Fuß nachvollziehen: Webers Spaziergänge führten durch dichte Wälder und neblige Täler. Der Gegensatz aus unheimlicher Atmosphäre und fröhlichem Land- und Jägersleben kennzeichnet auch den „Freischütz“, der 1821 jedoch nicht in Dresden, sondern in Berlin zur Uraufführung kam. Karl von Brühl, General-Intendant der Königlichen Schauspiele, erwarb bereits 1817 die Rechte an der Oper, die anfangs noch als „Die Jägersbraut“ betitelt war.

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Das Datum der Uraufführung war mit dem 18. Juni alles andere als zufällig gewählt, schließlich jährte sich die Schlacht von Waterloo zum sechsten Mal. Die Niederlage Napoleons gegen die alliierten Truppen unter dem englischen General Wellington führte zum Ende der französischen Hegemonie in Europa.

„Freischütz“ wurde nach der Premiere als erste deutsche Nationaloper gefeiert

Zwar verlegte Weber die Handlung der Oper in die Zeit nach dem Dreißigjährigen Krieg, trotzdem traf er den romantischen Zeitgeist, der die Natur und insbesondere den Wald als Sehnsuchtsort begriff und die deutsche Identität thematisierte. Politische Schlagworte waren dafür nicht notwendig. Das deutschsprachige Libretto rief trotzdem euphorische Reaktionen im Publikum hervor. Bereits unmittelbar nach der Premiere erschienene Kritiken beschreiben den „Freischütz“ als erste deutsche Nationaloper. „Nie hat ein deutscherer Musiker gelebt als du“, soll sich Richard Wagner andächtig an Webers Grab geäußert haben. Auch der Philosoph und Musiktheoretiker Theodor W. Adorno schätzte das Werk und hob wohlwollend hervor, dass sich „das deutsche Element“ nicht durch „nationalistische Gesinnung“ kompromittiere.

Wenige Monate nach der Uraufführung dirigierte Weber seinen „Freischütz“ auch in Dresden, bevor die Oper unter anderem in Paris und London bejubelt wurde. Trotz des internationalen Triumphzuges blieb das Werk in Form zahlreicher Neuinszenierungen stets mit der sächsischen Metropole verbunden. Darunter befinden sich einige historisch markante Daten:

  • am 31. August 1944 schloss die Semperoper ein halbes Jahr vor der Zerstörung durch einen Bombenangriff mit dem „Freischütz“
  • am 13. Februar 1985 eröffnete das Haus nach dem Wiederaufbau mit Webers Klassiker
  • 2015 inszenierte Axel Köhler eine Neufassung, die auch im Jubiläumsjahr 2021 auf dem Programm steht.

Die Lesart Axel Köhlers setzt sich auch kritisch mit romantischen Idealen auseinander und hinterfragt gesellschaftliche Hierarchien und antiquierte Rituale.

Silhouettenfilm ehrt Komponisten Carl Maria von Weber

Carl-Maria-von-Weber-Museum zeigt ab März „Komponieren beim Spazieren“ anlässlich 200 Jahre „Der Freischütz“

Die Wiederaufnahme begleitet eine Mischung aus Installation und Theaterparcours in der Semperoper. „Bei der Ausstellung wollen wir der Dresdner Rezeptionsgeschichte von Webers ,Der Freischütz‘ auf vielseitige Art nachspüren“, sagt Elisabeth Telle, Mitarbeiterin des Historischen Archivs der Semperoper und mit der Ausstellungskonzeption betraut. Analog zu den kommenden Sonderausstellungen im Weber-Museum wird auch die ästhetische Bedeutung des Komponisten gewürdigt.

Webers Anspruch war kein geringerer, als das Niveau der Deutschen Oper auf eine adäquate Stufe zu heben.

Elisabeth Telle, Mitarbeiterin des Historischen Archivs der Semperoper

Im „Freischütz“ streicht das Orchester psychologische Zusammenhänge klanglich heraus – eine Praxis, die schließlich Richard Wagner übernahm. „Webers Anspruch war kein geringerer, als das Niveau der deutschen Oper auf eine adäquate Stufe zu heben. Dies gelang ihm binnen kürzester Zeit nicht zuletzt auch durch den Aufbau eines Berufs-Opernchores, welcher seit nunmehr 203 Jahren ununterbrochen existiert“, betont Telle.
„Das wahre Genie wird bei Bewunderung des Fremden nicht dessen Nachahmer, sondern erhält dadurch nur den schönen Anstoß, neue Bahnen zu finden“, notierte Carl Maria von Weber im Sommer 1817 kurz nach seiner Ankunft in Dresden. Der Komponist drückte damit seine Bewunderung für den zeitgenössischen italienischen Kollegen Luigi Cherubini aus. Rückblickend wird deutlich, dass Webers Satz auch auf ihn selbst zutraf.

Wandern auf den Spuren von Carl Maria von Weber

Carl Maria von Weber wanderte von seinem Sommerhaus in Hosterwitz viel in der Sächsischen Schweiz und verarbeitete die Bilder und Eindrücke vor allem in der „Wolfsschlucht“-Szene des „Freischütz“. Der 112 Kilometer lange Malerweg gilt als die Carl-Maria-von-­Weber-Route.

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